Wohnen mit Behinderung: So selbständig wie möglich

Drei Menschen mit geistiger Behinderung ziehen in eigene Wohnung.

Krefeld. Typisch Umzug. Überall in der neuen Wohnung stehen die noch nicht ausgepackten Kartons herum. Einige Möbel fehlen noch. Typisch WG. Alle sitzen um den gemütlichen Küchentisch, essen Chips und klönen. Gar nicht typisch. Brigitte (32), Sven (24) und Jan (27) sind geistig behindert. Seit Kurzem teilen sie sich eine 87 Quadratmeter große Wohnung in der 1. Etage eines Hauses am Südwall. Hier wollen sie so selbständig wie möglich leben.

Hilfestellung im Alltag gibt ihnen ihr Betreuer Christian Hoffmann (28). 20 Stunden pro Woche begleitet er die WG, unterstützt die Drei nach einem individuellen Hilfsplan bei ihren Einkäufen, bei der Bearbeitung der Post oder bei Ämtergängen. „Chris ist nicht rund um die Uhr da“, erklärt der WG-Bewohner Jan. Für den Notfall liegt die Telefonnummer der Rufbereitschaft deshalb parat.

Hinter dem WG-Konzept „Ambulant unterstütztes Wohnen“ steht die Lebenshilfe Krefeld. Sie unterstützt Menschen mit Behinderung in ihrem Wunsch, ihr Leben so weit wie möglich selbstbestimmt zu gestalten. „Mit der WG am Südwall gehen wir einen großen Schritt in Richtung neue Wohnformen“, sagt die Sprecherin der Lebenshilfe, Christina Schulte. „Die drei Mieter sind die ersten, die sich eine Wohnung auf dem freien Markt gesucht und den Mietvertrag selber geschlossen haben.“

Für Jan endet nun eine zehnjährige Odyssee durch die Wohnheime. Die vergangenen vier Jahre lebten er und Brigitte in einer Fünfer-WG der Lebenshilfe in Uerdingen. „Alleine wohnen ist für mich Horror“, sagt die junge Frau. Heime sind ihr ebenfalls verhasst. „Ich war schon mit zwei Jahren im Marianum und wurde dann immer von einem Ort zum anderen geschickt“.

Als es in der alten WG immer öfter Streit gab, begab sie sich mit ihren beiden Freunden auf Wohnungssuche. Ein halbes Jahr lang studierten sie Zeitungsannoncen, bis sie endlich diese helle Wohnung mit den vielen Fenstern und „ganz wichtig: eine Dusche im Bad“ gefunden hatten.

In Eigenregie tapezierten und pinselten sie, beim Umzug half die Verwandtschaft. Die Nachbarn reagieren freundlich. „Uns hat noch keiner in den Arm genommen, aber wir haben auch keinen Ärger“, bringt es Jan trocken auf den Punkt.

Nun fühlen sich alle wohl. Sie gehen kumpelhaft miteinander um, reißen Witze. Jan ist der Koch des Trios. „Nur Fisch geht bei mir total in die Hose“, ansonsten habe sich noch keiner über seine Küchenkünste beschwert. Sven ist zum ersten Mal auf sich allein gestellt. Er wohnte zuvor bei seinen Eltern. „Ist schon ein komisches Gefühl“, meint er und zieht die Nase kraus.

Während Jan als Schlosser im Heilpädagogischen Zentrum arbeitet, haben Brigitte und Jan eine volle Stelle in der Küche und Wäscherei eines Altenheimes. Donnerstags proben sie mit der Lebenshilfe-Band „Rock am Ring“ in der Musikschule. Brigitte spielt Buschtrommel und Klarinette, Sven ist der Mann fürs Schlagzeug. Jan schreibt in seiner Freizeit an einem Science-Fiction-Roman. „Ich neige zu Depressionen. Das Schreiben hilft mir und lenkt mich ab“, erzählt er offen.

Jetzt warten die drei nur noch auf ihr Maskottchen. Hase „Flöckchen“ kommt nach, wenn das Wohnzimmer fertig eingerichtet ist.

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