Heimatgeschichte Ernst Fendler: Eine Kindheit am Bahndamm

Der Oppumer Ernst Fendler hat Erinnerungen an seine Kindheit niedergeschrieben. Die Eisenbahn spielt darin eine wichtige Rolle.

Krefeld. Der Oppumer Ernst Fendler (1928-2009) hat einen umfangreichen Bericht über seine Kindheit verfasst. Auf 70 eng beschriebenen Seiten gibt der ehemalige Korrektor der Westdeutschen Zeitung Auskunft über die Oppumer Verhältnisse. „Als Sohn eines Eisenbahners verlebte ich meine Kindheit in Oppum“, heißt es in seinen Erinnerungen, aus denen wir mit Genehmigung seiner Tochter Stefanie zitieren.

Heimatgeschichte: Ernst Fendler: Eine Kindheit am Bahndamm
Foto: Privat/Fendler

Oft kommt die Eisenbahn ins Spiel. „Meine Eltern und wir Kinder wohnten auf der Trift und lebten recht bescheiden, obwohl mein Vater niemals arbeitslos war und immer seinen, wenn auch dürftigen, Lohn als Eisenbahner nach Hause gebracht hat. Er arbeitete zuerst bei der Hafenbahn in Linn als Heizer und Rangierer. Wenn wir Kinder morgens aufstanden, war er schon mit dem Fahrrad zum Lokschuppen in Linn oder zum Uerdinger Werft unterwegs“, schreibt Fendler. „Die Krefelder Industriebahn oder Hafenbahn, wie sie meist genannt wurde, war Bindeglied zwischen Reichsbahn und den Industriebetrieben. Die kleinen, wendigen Rangierloks halfen am Uerdinger Werft beim Entladen der Schlepper.“

Für den jungen Ernst Fendler war die Eisenbahn allgegenwärtig. Die Gleise waren der verbotene Abenteuerspielplatz. Voller Ehrfurcht stand er auch schon mal im Lokschuppen vor einer riesigen Lokomotive. „Da stand sie dann im Halbdunkel, schwarz, mit Rädern, die größer waren als ich. Ich traute mich nicht, sie zu berühren. Vater, der meist mit ölverschmierten Putztüchern hantierte, fragte mich, ob ich nicht mal auf den Führerstand möchte. Er zeigte mir, wie alles funktionierte. Er nahm eine Kohlenschaufel, die so schwer war, dass ich sie leer kaum anheben konnte, und warf einige Schaufeln Kohle in die Feuerungsklappe. Auch durfte ich an dem Hebel ziehen, der die Dampfpfeife auslöste. Er machte es mir vor, und ein gellender Pfiff ließ die Wände des Lokschuppens erzittern. Danach war meine Bewunderung für den Vater riesengroß.“

Noch als Heranwachsender beeindruckte ihn die Eisenbahn. „Wer wie ich am Bahndamm groß wurde, mit dem täglichen Geräusch von prustenden und schnaufenden Rangierloks im Ohr, die sich mit 50 bis 60 Güterwagen im Schlepp, dicke Rauchwolken ausstoßend, den Rangierberg hochquälten, der kann wohl meine Liebe zur Eisenbahn verstehen. Hinzu kommt ja noch das Tröpfchen Eisenbahnerblut, das Vater, Großvater und Urgroßvater in mir hinterließen.“

Ernst Fendler erwähnt auch die Güterzüge, die immer häufiger Panzer, Kanonen und Soldaten transportierten. „Weil die Transporter vor dem Signal an der Hochfelder Straße anhalten mussten, liefen wir Kinder und die Jugendlichen auf den Bahndamm, um sich mit den Soldaten zu unterhalten. Sie saßen oft in der offenen Tür des Waggons und ließen die Beine baumeln. Viele drückten uns kleine Zettel in die Hand, damit wir ihre Angehörigen informieren sollten. Tragisch war es, wenn Krefelder, die monatelang nicht zuhause waren, im Zug waren und diesen nicht verlassen durften.“

Fendler wurde eingezogen, musste aber nicht an die Front. Seine Erinnerungen, wie er den Krieg und sein Ende erlebt hat, nehmen viele Seiten in Anspruch. Immer wieder ist der Güterbahnhof sein Thema. Die Einrichtung wurde am 29. Januar 1945 ein Opfer britischer Bomben. Der Bahnhof wurde abgesperrt, um Plünderungen zu verhindern. Also hielten sich die Leute zurück. Doch als am 3. März die Amerikaner das Kommando übernahmen, gaben sie die Ruinen zur Plünderung frei. „Das hatte zur Folge, dass erst die Bewohner nahe am Bahndamm, später alle Oppumer, die laufen konnten, kamen, um mitzunehmen, was man gebrauchen konnte.“

Besonders beeindruckt hatte Ernst Fendler im Hungerjahr 1947 die Haltung des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings. Der Kirchenmann hatte, so schreibt Fendler in seinen Erinnerungen, in einer Silvesterpredigt Verständnis gezeigt, wenn man sich in höchster Not fremdes Gut nahm, um das eigene Überleben zu sichern. Das Verb „fringsen“ schaffte es daraufhin für einige Jahrzehnte in den Duden.

Der Oppumer hinterließ seiner Familie einen sehr persönlichen Bericht, in dem die Oppumer Bahnwelt im Mittelpunkt steht und den seine Tochter und sein Enkel immer wieder zur Hand nehmen. Tochter Stefanie sagt: „Ich bin sicher, dass mein Vater sich sehr gefreut hätte, wenn ein kleiner Auszug aus seinen Aufzeichnungen den Weg in die Zeitung findet.“

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