Arbeitersiedlungen in Krefeld: Im Garten gab es das „Ein-Mann-Loch“

Die alte Bahnersiedlung Glockenspitz ist in den 1930er Jahren entstanden — nach Planungsvorgaben der Nazis. Heute leben dort viele Familien in Häusern mit großen Gärten.

Krefeld/Oppum. Die Straßennamen in der Siedlung Glockenspitz verraten, dass Tiere hier schon immer dazu gehörten: Wolf, Hirsch, Reh, Wiesel und der Eber wurden auf diese Weise im Stadtplan verewigt. Aber auch die ersten Bewohner im „Dreiländereck“ Oppum, Bockum und Linn zählten Nutztiere zu ihren Haushalten.

Ende der dreißiger Jahre war die Selbstversorgung eines der Ziele der nationalsozialistischen Siedlungspolitik. Zu jedem Haus sollten ein großer Nutzgarten für den eigenen Obst- und Gemüseanbau und Ställe für Kleinvieh gehören. Auf alten Bauzeichnungen ist zu sehen, dass man unter dem Dach der kleinen Backsteinhäuser einen Heuboden für Heu, Stroh und anderes Tierfutter eingeplant hatte.

Bei Familie Krischer wurde der Heuboden auch ganz nach Vorschrift genutzt, denn man besaß Hühner und Kaninchen. Auf anderen Grundstücken hielt man auch Gänse, Schafe und Ziegen. Wie wichtig den Siedlungsbauern der Nutzgarten war, kann man vielleicht noch daran ablesen, dass die Häuser weder von der Straßen- noch von der Giebelseite, sondern nur von hinten von den Gärten betreten wurden. Noch nicht einmal eine Tür störte damals, wenn man mit vollen Händen die Ernte aus dem Garten ins Haus tragen wollte. Nur ein Windfang schützte den Eingang.

Vieles vom selbst angebauten Gemüse und Obst wanderte gleich in den Keller, denn der war der „Kühlschrank“ — erzählt Horst Krischer. Der Optikermeister im Ruhestand ist bis heute eng mit der Siedlung Glockenspitz verbunden: „Ich bin eine so genannte Hausgeburt vom Hirschsprung“. Es war damals in den Sommern sehr heiß und im Winter unangenehm kalt in den einfach gebauten Siedlungshäusern. „Bei gerade einmal einer dünnen Klinkerwand, vor die man innen Heraklitplatten genagelt hatte, saßen wir an Wintertagen fast immer in der Küche. Da war die einzige richtige Heizung“.

Auch mit anderem Komfort waren die Backsteinhäuser nicht ausgestattet; es gab nur eine Toilette und samstags — am Badetag — wurde die Zinkwanne in die Küche gestellt.

Wohl einzigartig in der Siedlung war für sein Elternhaus, dass man während des Kriegs ein „Ein-Mann-Loch“ im Garten besaß. Während Vater Krischer seine Frau und die vier Kinder bei Luftangriffen in den Bunker schickte, blieb er in seinem winzigen Privatbunker, um auf das Haus aufzupassen. Den Wasserschlauch hatte er für eventuelle Brände auch schon immer angeschlossen.

Während des Kriegs arbeitete der Vater wie viele seiner Nachbarn in der Siedlung in den Zünderwerken am Bruchfeld. Andere Familienväter waren im „Reichsbahn-Ausbesserungswerk“ beschäftigt. Nach dem Krieg, den Familie Krischer unbeschadet überstanden hatte, musste der arbeitslose Vater kreativ werden. „In seinem Beruf gab es noch nichts, und er musste irgendwie seine Familie durchbringen. Da kaufte er 1947 oder 48 das Pferd Lisa, ein ehemaliges Rennpferd und einen Wagen“ und wollte ein Fuhrgeschäft aufmachen.

Ein schmaler Grünstreifen hinter dem Garten wurde zu Lisas Weide und ihren Stall bekam sie dort, wo heute im Anbau der Esstisch steht. Für Lisa hatte man einst den Kleinviehstall, der an das Haus angrenzte, etwas umgebaut. Doch das Temperament und die Kraft der Stute hatte man nicht richtig eingeschätzt. Als sie einmal kräftig austrat, hatten die Eltern eine Beule in der Wand ihres Schlafzimmers. Ungefähr zwei Jahre lang funktionierte das Fuhrgeschäft — „so eine schwarze Geschichte, bis gewisse Leute kamen und Pferd und Wagen beschlagnahmten“.

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