In Krefeld Kioskbesitzer, in Syrien Architekt

Der Kiosk an der Siemensstraße ist Treff der Nachbarn. Der Inhaber ist ein Architekt aus dem Bürgerkriegsland Syrien.

Krefeld-Dießem. Im Büdchen von Abed Al-Assadi trifft sich die Nachbarschaft beim Kaffee zum Schwätzchen. In den Regalen steht das Nötigste zum Leben: Drei Kartons Eier, ein paar Pfund Kaffee, H-Milch und Konserveneintopf. Im Kühlschrank Königshofer, denn anderes will die Kundschaft südlich vom Voltaplatz nicht. Sagt Abed Al-Assadi, ein in Damaskus geborener Palästinenser. Er führt das kleine Geschäft seit neun Jahren.

„Syrien geht vor die Hunde“, stellt der 64 Jahre alte Innenarchitekt und Designer fest. Niemals werde das Regime um Assad die Panzer und Raketen aus den Brennpunkten, vor allem Homs, abziehen. „Dann wären ja Millionen auf der Straße“. Vergangenes Jahr noch war Al-Assadi in Damaskus. „Die Stadt ist dreckig geworden. Der Fluss Barrada ist nur noch ein gechlortes Rinnsal. Als ich Kind war, standen Angler am Ufer und holten Fische heraus.“

1984 kam der Syrer zum ersten Mal nach Deutschland. Um hierzulande Elektro-Installationsartikel und in Italien Mosaike zu kaufen. Denn Al-Assadi richtete gerade das neben dem Internationalen Terminal des Flughafens von Damaskus fertiggestellte VIP-Gebäude ein. Dort wollte Präsident Assad, Vater des derzeitigen Despoten, arabische Fürsten, amerikanische Außenministerinnen und sonstige Größen dieser Welt empfangen.

„Ja, das waren noch Zeiten in der Universität“, schwärmt der Wahl-Europäer. „Vier Studenten, vier Professoren, jeder aus einem anderen Land. Der Franzose hat meine Abschlussarbeit mit 95 von 100 möglichen Punkten bewertet“. Ein verblasstes Papierfoto zeigt die filigrane Zeichnung.

Auf acht Meter Länge ist im Empfangsraum des VIP-Gebäudes die Geschichte Syriens dargestellt, die auch geprägt wurde von den Griechen und Römern. „Fast in der Mitte des Bildes stand die Sonne“, erzählt der künstlerisch ausgerichtete Architekt. Irgendwann stellten Assads Schergen fest, dass der Geschichte Syriens etwas fehlte — nämlich das Konterfei des Präsidenten, der auf möglichst vielen Wänden zu sehen sein muss. „Also musste die Sonne raus und Assad rein“, lacht Abed Al-Assadi.

Weniger lustig findet er die Umgestaltung der Decke des besagten Empfangspalastes. Baschar al-Assad, Sohn des 2000 verstorbenen Präsidenten Hafiz al-Assad (der andere starb, als er in seinem Mercedes gegen einen Betonmast neben der Autobahn zwischen Hauptstadt und Flughafen fuhr) holte sich Designer aus dem Iran und ließ die künstlerisch wertvolle Intarsienarbeit über dem güldenen Kronleuchter entfernen.

1986 setzte sich Abed Al-Assadi aus Syrien ab. „14 Jahre lang durfte ich nicht zurückkehren“. Wer Rote Karten dieser Art missachtete, landete im Knast. Im Augenblick hat der Innenarchitekt keine Lust auf Syrien. Über Ostern hat er seine Zwillinge in der Nähe von Kopenhagen besucht, Navy und Wael, beide 35 Jahre alt und in gut dotierten Jobs. Den Kiosk an der Siemensstraße will er noch zwei Jahre schmeißen und dann ebenfalls nach Dänemark ziehen, mit einer kleinen Rente in der Tasche. Aus Dänemark hat er sich eine Staffelei mitgebracht.

Denn jetzt will er wieder malen, das alte Damaskus zum Beispiel, als es noch sauber war und viele Leute Französisch sprachen. Die Kolonialmacht hatte sich 1946 zurückgezogen, zwei Jahre vor Assadis Geburt. Wie die nahöstliche Metropole einst aussah, kann man im „Facebook“ sehen. Man muss nur der Gruppe „Dimashq in Black & White“ beitreten. Deren Mitglieder stellen alte Fotos ins Internet.

Heuer herrscht im Kiosk wieder gut Betrieb. Ein Nachbar braucht Hilfe beim Abtransport eines ausrangierten Küchengerätes. Ein anderer will ein Paket zurückgehen lassen, wenn es denn irgendwann geliefert wird. Abed — Kurzform von Abdullah — Al-Assadi verbessert sein bescheidenes Einkommen mit Stromprüfer, Zange und Lötkolben: Er repariert Handys und Computer. Er hat sein Hobby zur Nebenerwerbsquelle gemacht. „Irgendwann wollte ich wissen, wie es drinnen aussieht“, sagt er und deutet auf das geöffnete Akku-Set einer Bohrmaschine. Man muss ja nicht immer gleich alles in den Müll tun.

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