Krefelder Stadtgeschichte Umzugskarton voller Urkunden passt jetzt auf einen Stick

Forstwald · . Nur wenige Krefelder dürften im Stadtgebiet so große Spuren hinterlassen haben wie Gerhard Schumacher: Vor knapp 200 Jahren ersteigerte der reiche Kaufmann die Flächen auf der „St. Töniser Heide“, aus denen er später durch Anpflanzungen den heutige Forstwald erwachsen ließ.

 Bei der Übergabe der digitalisierten Unterlagen zur Familiengeschichte Schumacher (v.l.): Jürgen Reck, Gisela Varzandeh (mit einem Bild ihres Ur-Ur-Großvaters Gerhard Schumacher) und Stadtarchivleiter Olaf Richter.

Bei der Übergabe der digitalisierten Unterlagen zur Familiengeschichte Schumacher (v.l.): Jürgen Reck, Gisela Varzandeh (mit einem Bild ihres Ur-Ur-Großvaters Gerhard Schumacher) und Stadtarchivleiter Olaf Richter.

Foto: Bischof/Andreas Bischof

Sein Vater Mathias hatte sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts als erfolgreicher Kaufmann in Krefeld etabliert. Neben dem Handel mit Wein und Gewürzen gehörten später eine Branntweinbrennerei in Krefeld, ein Weingut in Königswinter und die Apollinaris-Quelle in Bad Neuenahr zum Familienunternehmen. Und auch mit dem Zuckerrübenanbau und einer eigenen Zuckersiederei, die Napoleon selbst „abgesegnet“ hatte, wurde in der zuckerlosen Zeit der Kontinentalsperre im frühen 19. Jahrhundert viel Geld verdient.

84 Ordner und 857 Einzeldateien in einer Größe von 5,87 Gigabite

„Dieser Teil unserer Familiengeschichte war sogar mir neu“, berichtet Gisela Varzandek, Ur-Ur-Enkelin von Gerhard Schumacher. Sie hatte dem Tönisvorster Buchautor Jürgen Reck, der im Forstwald aufgewachsen ist, vor zwei Jahren umfangreiche Materialien zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Daraus entstand 2018 das Buch „Schumacher – Ein Beitrag zur Familiengeschichte“. Das gesamte Material hat Reck nun digitalisiert und am Montag dem Krefelder Stadtarchiv zur Verfügung gestellt.

84 Ordner und 857 Einzeldateien sind auf einem Stick mit der Größe von 5,82 Gigabite zusammengefasst. Viele Bilder, Geburt- und Sterbeurkunden, Tagebücher, Zeitungsausschnitte, Briefe sowie ein handgemalter Stammbaum der mennonitischen Familie aus den 1930er Jahren – 1,50 Meter lang und 45 Zentimeter breit – gehören dazu. Das Material reicht von Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.

Jürgen Reck hatte Gisela Varzandek 2018 durch einen Termin im Jagdschlösschen der Burg Linn kennengelernt und erfahren, dass sie eine direkte Nachfahrin von Gerhard Schumacher ist. Ein Treffen bei ihr in Mönchengladbach wurde verabredet, bei dem sie ihm im Juni 2018 – am gleichen Tag schied Deutschland bei der Fußball-WM in der Vorrunde aus – einen randvollen Umzugskarton mit Familien-Unterlagen präsentierte. Auch eine abschließbare Zuckerdose mit Gravur aus dem Nachlass der Familie gehörte dazu. Sie stammte offensichtlich aus der Zeit der Napoleonischen Kontinentalsperre, als Zucker ein kostbares Gut war. Gemälde der Vorfahren von Gisela Varzandek, die an der Wand ihres Hauses hängen, vervollständigten das Bild. Kopien davon wurden ebenfalls digitalisiert.

Von Gerhard Schumacher (1790-1845) gibt es mehrere Gemälde, die sichtbar machen, dass der Kaufmann ein Genussmensch war. „Er wurde nur 55 Jahre alt und wog am Ende seines Lebens zweieinhalb Zentner“, berichtete Jürgen Reck. Nachkomme Günter Schumacher (1903-1991) war dagegen als Wanderer und Bergsteiger sportlich aktiv. Von ihm hat Jürgen Reck in den Unterlagen eine Reisebeschreibung entdeckt, wie er im August 1932 in einer Drei-Tages-Gewalttour bei einem beruflichen Japan-Aufenthalt mal eben den Fuji bestieg.

Archivleiter hofft auf Erkentnisse aus alten Tagebüchern

„Vor allem aus den Tagebüchern erwarten wir auch viel Stadtgeschichtliches zu finden“, berichtet Archivleiter Olaf Richter. Denn Angehörige der Familie Schumacher spielten in der mennonitischen Gemeinde sowie in der Stadt Krefeld selbst eine wichtige Rolle, waren Bankiers, Stadtverordnete, Friedensrichter und Beigeordnete.

Für Olaf Richter stellen die nun übergebenen Dateien einen bedeutenden Zuwachs für das Stadtarchiv dar. Dessen bisheriger digitaler Gesamtbestand beläuft sich auf 18 Gigabite – fast sechs kommen jetzt dazu. Diese ergänzen die schon vorhandenen Bestände in einer Größe von sechs laufenden Metern und 700 Einträge.

Der Archivleiter hofft darauf, dass das neue Material nun für weitere Forschungsarbeiten auch genutzt wird. Der volle Informationsgehalt sei vorhanden und könne bei Bedarf auch vergrößert werden. Selbst kleine Handschriften auf Dokumenten sind auf diese Weise gut zu erkennen. Aus Gründen des Datenschutzes können einige personenbezogene Daten aus dem neuen Bestand allerdings noch nicht genutzt werden.

Jürgen Reck erhebt nach eigenem Bekunden „keinen Anspruch auf wissenschaftliches Arbeiten“: Er habe das Material lediglich gesichtet, zusammengestellt und eingescannt. Wie viele Stunden er dafür im heißen Sommer 2018 im heimischen Keller verbracht hat, kann er selbst nicht mehr sagen: „Es hat Spaß gemacht.“

Interessant zu erfahren war für die Ur-Ur-Enkelin von Gerhard Schumacher, dass die Familie ihre Wurzeln auf dem Gebiet der heutigen Stadt Mönchengladbach hat. Von Wickrath aus war Theis (Matthias) Schumacher, geboren 1660, in das als tolerant geltende Krefeld übergesiedelt. Denn zuhause wurden die Mennoniten religiös verfolgt, Familienangehörige sollen sogar im Schloss Rheydt eingesperrt worden sein. „Seit ich das weiß, sehe ich das Schloss aus einem ganz anderen Blickwinkel“, berichtete Gisela Varzandek am Rande der Übergabe der Dateien.

Der Forstwald übrigens ging 1929 in den Besitz der Stadt Krefeld über. Dafür zahlte sie 570 000 Reichsmark. Von den insgesamt 1020 Hektar Krefelder Waldflächen stellt der heutige Forstwald 30 Prozent dar.

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