Geprobt wird mit Gehörschutz

Am Samstag werden die Beierer von St. Anna in Aachen die Glocken schlagen. Zur Vorbereitung wurde am Wochenende geübt.

Inrath. Breitbeinig, je einen Fuß auf stählernen Streben, steht der Kirchenmusiker Norbert Jachtmann hoch oben im Glockenturm der Annakirche und bindet einen Strick an den Klöppel der höchsten Glocke, um ihn ganz nah an den Kranz zu ziehen. So kann der Glockenbeauftragte der Bistümer Aachen und Köln mit einem kurzen Zug am Seil die Glocke zum Klingen bringen.

Jachtmann und sieben Helfer üben für den kommenden Samstag: Dann spielen sie um 12.30Uhr ein Dutzend Melodien auf den 350 Jahre alten Glocken des Aachener Doms zu deren Jubiläumsfeier (die WZ berichtete).

"Beiern" nennen es die Glockenspieler, wenn Melodien per Handarbeit erzeugt werden, durch das direkte Anschlagen mit dem Klöppel oder mit Eisenhämmern. Die Beierer von St. Anna haben ein Problem: Die Aachener Glocken sind weder von Zahl noch Klang identisch mit denen am Krefelder Inrath. Da helfen bei der Probe nur Auslassen und Ersatzanschläge auf einem Kinder-Glockenspiel.

Hören können sie den Ersatzton kaum, denn alle Beierer tragen Gehörschutz. Jachtmann hat das Team mit bearbeiteten Noten ausgestattet: Jeder Ton ist mit der Nummer der Glocke bezeichnet, die bei der Probe fehlenden sind mit gelbem Marker hervorgehoben.

Das Programm für Samstag wird durchgespielt, bevor kritische Stellen besprochen werden: Es beginnt mit einer Vorstellung der Glockenklänge von hell bis dunkel, dann folgen unter anderem die mittelalterliche Karlshymne "Urbs Aquensis", Lumen Christi, Salve Regina, Wachet auf, die Westministerklänge, gegen Ende "Wir sönd allemoele Öcher Jonges" und schließlich "Mer losse d’r Dom en Kölle". Jachtmann erklärt den Bezug: "Vor dem Stadtbrand 1656 waren die Aachener und Kölner Glocken fast identisch."

Das Beiern ist ein jahrhundertealter, vor allem im Nordwesten Europas verbreiteter Brauch, besonders in den Niederlanden, in Belgien, auch in Schweden und Norwegen. ist im Rheinland weit verbreitet. Hierzulande wird der Brauch vor allem im Rheinland gepflegt. In Krefeld wird, was vielen kaum bekannt ist, einzig an der katholische Kirche St. Anna am Inrath gebeiert. Dort spielt das Beierer-Team jeweils an Fronleichnam zur Prozession.

Norbert Jachtmann, der alle Glocken in seinem Bereich kennt und für die katholische Region Krefeld ein "Glockenbuch" geschrieben hat, musste bei seinen Vorbereitungen berücksichtigen, dass die fünf Glocken der St.-Anna-Kirche von der Zahl und den Tönen her nicht kompatibel mit den Domglocken sind. Das Geläut des Aachener Doms besteht aus acht Glocken von unterschiedlicher Größe. Sie bringen die Töne g, h, d, e, fis, g, a und h hervor.

Vier der fünf großen Glocken von St. Anna wurden 1905 von Karl Otto in der Glockengießerei Hemelingen bei Bremen gegossen, damals auch die kleine Glocke von nur 100 Kilogramm. Die jüngste und größte, "Maria", mit 3566 Kilogramm Gewicht und einem Durchmesser von 1,73 Meter, stammt aus derselben Gießerei und wurde 1966 gegossen.

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