Pathologie: Mehr als nur die Suche nach der Todesursache

Professor Michael Gokel vom Helios Klinikum spricht über die Arbeit als Pathologe.

Krefeld. Das Büro von Professor Michael Gokel im Helios Klinikum sieht eigentlich aus wie jedes andere Chefarztzimmer auch: Lange Bücherwände, nette Gesprächsecke und ein großer Schreibtisch, beladen mit Papieren, Telefon und PC.

Wenn da nicht eine ganze Reihe kleiner Objektträger mit rötlich eingefärbten Gewebefetzchen wäre und die beiden riesig großen Mikroskope auf der Arbeitsplatte. Hier entscheidet der Pathologe über gut und böse, wenn es sich um Proben von Tumoren handelt. Und das 100 bis 150 Mal täglich.

"Die Pathologie ist ein Beruf mit Vorurteilen", sagt Gokel. Früher war es Aufgabe der Pathologen bei Verstorbenen nach den Todesursachen zu schauen. Heute arbeiten sie vornehmlich in der Frühdiagnostik von Krankheiten. Nahezu jede Krebsdiagnose stellt der Pathologe.

"Die meisten Menschen verwechseln den Fachbereich jedoch mit der Gerichtsmedizin", sagt der Professor. "Die innere Leichenschau, die Sektion, fällt in die Schnittmenge zwischen Rechtswissenschaft und Medizin. Doch jedes Fachgebiet hat eine andere Zielsetzung."

Für erstere gelte es, die unnatürliche Todesursache festzustellen. Die Ärzte am Krankenhaus hingegen untersuchen die Gewebeproben und erforschen den Krankheitsverlauf in seinen verschiedenen Stadien, um für die Zukunft zu lernen: "Als Pathologie wird in der Medizin die Erforschung und Lehre von den Ursachen, der Entstehungsweise, der Verlaufsform und der Auswirkungen von Krankheiten bezeichnet. Warum ist ein Tumor entstanden? Wie entwickelt er sich? Wie kann er behandelt werden? Führt er zum Tod und warum?", sind die Fragen.

"Die Sektion macht heute nur einen geringen Teil der täglichen Arbeit aus", so der Chefarzt. Rund 100 Leichenöffnungen im Jahr stehen mehr als 30 000 Untersuchungen von Gewebeproben gegenüber.

Der jährliche Zellabstrich durch den Gynäkologen, Untersuchungen von Brust- und Tumorgewebe gehören ebenso dazu wie die Tests von Urin, Blut oder Gallenflüssigkeit.

Manchmal müsse eine zweite Probe entnommen, ein weiterer Experte hinzugezogen werden, um ein eindeutiges Resultat zu erzielen. "Lebenslange Erfahrung ist für die Diagnostik in diesem medizinischen Fachbereich die wichtigste Voraussetzung. Bösartige Tumore werden stets von zwei Kollegen befundet."

Für die Untersuchung wird das entnommene Gewebeteilchen in hauchdünne Scheibchen geschnitten und auf dem Objektträger eingefärbt. Anhand der Zellmuster urteilt der Pathologe über den Tumor. Das Ergebnis erfährt der behandelnde Arzt, beim Schnellschnitt nach etwa zehn Minuten. Pathologen sehen die Kranken nie. "Wir sind die Ärzte im Hintergrund."

Diese Position hat einen Nachteil. Gokel: "Da wir die Patienten und ihre Familienmitglieder nicht sehen und kennen, besitzen wir auch nicht das Vertrauen zu fragen, ob wir den Toten auf seine Sterbeursache hin untersuchen dürfen. Religiöse und ethische Gründe spielen eine Rolle, die Zusage zur Obduktion nicht zu geben. Hätten wir eine höhere Sektionsfrequenz, wären wir in der Lage, statistisch relevantere Ergebnisse zu erziehen; eine Tumor-Entstehung durch Umweltschäden beispielsweise besser aufzeigen zu können."

Der Rundgang durch die Pathologie endet nach dem Beginn im Chefarztzimmer und nach knapp drei Stunden im Keller des Gebäudes. Dort finden im weiß gekachelten Raum die Sektionen statt, schließt sich der Kühlraum an, wo die Toten in Schubladen liegen. Vier Fächer sind besetzt. Zuvor haben die Angehörigen in einem schön und schlicht eingerichteten Andachtsraum Abschied nehmen können. "Hierfür habe ich einst lange kämpfen müssen", sagt der Chef der Pathologie.

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