Gift-Siedlung: Die Luft in den Kellern bleibt belastet

Seit Wochen wird gebohrt und gebaggert — aber Hausbesitzer zweifeln am Erfolg des Millionenprojektes.

Stahldorf. „Lagern Sie bloß kein Fleisch in Ihrer Kühltruhe“. Diese Empfehlung gab vor drei Jahren ein Umweltamtsmitarbeiter dem Ehepaar Walter von der Obergath. Inzwischen ist Kurt Walter verwitwet; die Kühltruhe im Keller wird er weiterhin nicht mehr benutzen. Denn nach wie vor ist die Luft in den Kellern über den Hinterlassenschaften der Großreinigung Froitzheim belastet.

Die letzte Raumluftmessung im März ergab unterschiedlich hohe Werte von LHKW (leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe). Tetrachlorethen ist von der 1972 unsachgemäß abgebrochenen Reinigung in Unmengen verbraucht worden (siehe Info-Kasten rechts). Die unangenehme Post vom Altlastensanierungs- und -aufbereitungsverbandes NRW (AAV) traf erst vor wenigen Tagen ein.

Ebenfalls auffallend früh verwitwet ist Gisela Wiborni, eine Nachbarin von Kurt Walter. Die Frau eines früheren Stahlwerk-Mitarbeiters zählt ein halbes Dutzend Nachbarn auf, deren Ehepartner, meist unter 60, innerhalb weniger Jahre verstorben sind — alle an Krebs.

Sauer ist Tochter Nicole Wiborni über das Verhalten der Stadt: „Man hätte erwarten können, dass sich der Oberbürgermeister mal sehen lässt.“ Die 22 betroffenen Eigentümer sind mehrfach zu Info-Veranstaltungen eingeladen worden. „Den Kaffee und Kuchen im Bonifatiushaus sollten wir quittieren.“ Der Umweltamtsleiter Helmut Döpcke habe erklärt, dass die Eigentümer der Mitte der 1970er gebauten Siedlung Am Saxhof/Obergath „dankbar“ sein müssten, dass ihnen keine Kosten bei der Sanierung entstünden.

Die „Dankbarkeit“ der Menschen, die auf unverkäuflichen Immobilien sitzen und gefährlichen Dämpfen ausgesetzt sind, hat ihre Grenzen.

Nicole Wiborni: „Wir dürfen Grundsteuer zahlen für ein Grundstück, das zum größten Teil nicht mehr existiert. Sie zeigt auf die Baugrube, durch die seit Wochen Bagger und Radlader rollen, Lärm und Dreck machen. Hier waren mal Gärten.

Von den für den Bodenaustausch nötigen 400 Bohrlöchern — jedes 15 Meter tief — sind in einem Monat erst zehn geschafft. „Wie wollen die denn bis zum September fertig werden?“, zweifelt Kurt Walter den Zeitplan an. Ohnehin ist ein Jahr später als geplant begonnen worden.

Beständig muss Grundwasser — dort in neun Metern Tiefe — abgepumpt werden. Das klappt nicht immer, wie Kurt Walter Ende letzter Woche feststellen musste. Das Wasser floss in seinen Keller, eine Wand war gebrochen. Natürlich will die Firma reparieren.

Dieter Gätzschmann, ebenfalls vor kurzem verwitwet, hatte Wasser im Wohnzimmer: Die fleißigen Arbeiter hatten seine Fenster nebst Terrassentür mit einem Hochdruckreiniger gesäubert — das Wasser kam durch die Rahmen. Überhaupt mussten sich die Walters, die Wibornis, die Gätzschmanns und die anderen über Gutachter wundern, deren Äußerungen bar jedes Fachwissens waren: „Da wurde der Kunststoffmörtel zwischen dem Naturpflaster für ein Sandbett gehalten“.

Keiner habe den Anwohner gesagt, dass der ausgekofferte Giftboden in einem offenen Zelt direkt vor den Wohnzimmer- und Schlafzimmerfensters gelagert wird. Gisela Wiborni: „Plötzlich brüllte ein Mann: ,Halten Sie bloß die Fenster geschlossen’.“

Irritiert ist Gisela Wiborni über die Bemerkung von Ulrich Hahnen (SPD) am WZ-Mobil, die Stadt habe Betroffenen 100 000 Euro fürs Haus geboten. „Mir hat keiner was geboten. 100 000 Euro wären auch zu wenig.“ Die Bodensanierung soll den Steuerzahler knapp vier Millionen kosten. Der Boden unter den Häusern aber bleibt.

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