Fischeln: Ein Stück Heimat in Gefahr

Die Aussiedler im Heim am Simesdyk fürchten um ihre Räume — Stadt lässt Mietvertrag auslaufen.

Krefeld. Als Zarin Katharina die Große vor rund 250 Jahren rief, folgten auch die Vorfahren von Frieda Beck (56) ihrem Aufruf zur Kolonialisierung der südöstlichen Regionen Russlands.

Um 1770 wanderten sie vom heimischen Waiblingen aus in die Weiten Vorderasiens. Mehrfach wurden die deutschen Siedler dort vertrieben, entwurzelt, verleumdet, erniedrigt, zur Zwangsarbeit gezwungen. Viele Spuren verloren sich in der Taiga und den Steppen Sibiriens und Kasachstans.

Am 5. März 1994 kam die gelernte Zootechnikerin Beck aus dem kasachischen Aktjubinsk mit der Auswanderungswelle zurück in die alte Heimat. Die ersten anderthalb Jahre lebte das Ehepaar Beck vor 17 Jahren in einer Übergangswohnung am Siemesdyk in Fischeln.

Ehrenamtlich arbeitet die Frau von Alfred Beck (57), der in der Lanxess-Logistik tätig ist, heute für die Caritas, die im Rahmen ihrer Integrationsarbeit auch deutsche Aussiedler aus Russland betreut.

Ein Kreis von rund 20 Landsleuten trifft sich auch heute noch regelmäßig am Siemesdyk, obwohl sie mittlerweile über die ganze Stadt verstreut wohnen. In der Übergangssiedlung haben sie sich in langer und liebevoller Arbeit seit 2004 auf rund 50 Quadratmetern ihren kleinen Treffpunkt geschaffen.

Jeden Donnerstag treffen sie sich dort, essen gemeinsam, sprechen über Probleme und Erfolge, planen gemeinsame Aktivitäten, informieren sich über das Leben in ihrer neuen Heimat. Die vorwiegend älteren Menschen finden hier Trost und Halt. Sie pflegen ihre Traditionen und ihre Geschichte. Gesprochen und gesungen wird dabei vorwiegend deutsch. Ein Vorzeigeprojekt für gelungene Integrationsarbeit.

Das aber ist jetzt in Gefahr. Ursprünglich war der Raum von der Stadt als Mieterin zum 1. April gekündigt worden. Die Frist hat der Fachbereich Soziales der Stadt jetzt gegenüber der Wohnstätte als Eigentümerin bis Ende August verlängert. Eine Schonfrist, mehr nicht.

Frieda Beck: „Man kann uns doch nicht einfach auseinander reißen. Wir machen bei vielen Dingen in der Stadt mit, viele Probleme werden hier gelöst. Und genug Räume stehen leer.“

Olga Klaus, mit 37 Jahren „Nesthäkchen“ des Treffs am Siemesdyk: „Meine Familie ist in Aktau am Kaspischen Meer in Kasachstan geblieben. Für mich ist das hier der Ersatz für die Familie.“ Olga Klaus hat an der Hochschule in Kasachstan Musik studiert. Ehrenamtlich spielt sie heute in der Tagesbetreuung für Demenzkranke klassisches Klavier.

Obwohl sie erst seit 2004 in Deutschland lebt, hat sie sich bereits glänzend in die Gesellschaft eingelebt. Nicht zuletzt durch den Treff in Fischeln.

Gloria Schloeßer von der katholischen Caritas ist für die Gruppe Ansprechpartner. Einen Umzug in andere Räume hält sie für problematisch: „Das ist ein Stück Heimat für sie geworden. Das ist nicht einfach zu verpflanzen.“ Hier am Siemesdyk hätten sie ihre Rückkehr nach Deutschland begonnen. Deshalb sei dieser Ort für sie so wichtig.

Die Sozialarbeiterin schlägt hingegen vor, den Raum auch für andere Nutzer zur Verfügung zu stellen. Für Spielgruppen etwa oder Beratungsstunden. Nur noch mal vertreiben sollte man die Menschen mit ihrer bitteren Vergangenheit nicht.

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