SPD: „Deutschland verdient mit Krankheit Geld“

Sozialdemokraten erörtern mit Experten die Defizite und Lösungsmöglichkeit einer Personaluntergrenze.

SPD: „Deutschland verdient mit Krankheit Geld“
Foto: Dirk Jochmann

Die Debatte rund um das Thema Pflege und den chronischen Fachkräftemangel hat in den vergangenen Monaten stetig an neuer Brisanz gewonnen. Im Rahmen eines Vortrags und einer Podiumsdiskussion erörterte Wolfgang Pasch (SPD) als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) gemeinsam mit Gästen aus der Pflege sowie weiteren Experten im Helios-Klinikum Krefeld die Defizite und mögliche Lösungsmöglichkeit einer Pflegepersonal-untergenze.

Das Foto, das Pasch im Verlauf seiner Präsentation vorstellt, zeigt die Dortmunder Westfalenhalle und unzählige Anwesende. Es handelt sich allerdings um kein Konzert, sondern um eine Demonstration von 20 000 Pflegenden anlässlich des deutschen Pflegenotstands aus dem Jahre 1989. Damals protestierte deutschlandweit das Pflegepersonal gegen die drastische Unterbesetzung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sowie die nicht leistungsäquivalenten Löhne.

Politisch trugen die Demonstrationen Früchte. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde mit der Pflegepersonalregelung (PPR) ein analytisches System zur Berechnung des Personalbedarfs bundesweit gesetzlich verpflichtend eingeführt, auch Tarifverträge verbesserten sich zunächst graduell. Die dadurch entstandenen höheren Personalkosten führten allerdings dazu, dass die Verbindlichkeit des Systems im Jahr 1995 aufgekündigt wurde.

Christina Weng, SPD-Politikerin

Gepaart mit der Einführung des Klassifikationssystems zur Abrechnung von Krankenhausbehandlungen mittels Fallpauschalen und der damit verbundenen Ökonomisierung der Krankenhäuser führte dies zu drastischen Personalkürzungen und Kosteneinsparungen, was nicht nur perspektivisch aufgrund des demografischen Wandels Gefahren birgt. Bereits die aktuelle Lage erweist sich insbesondere unter Berücksichtigung internationaler Vergleichswerte als äußerst problematisch. In Deutschland ist eine Pflegekraft im Schnitt für 13 Patienten zuständig. Die meisten entwickelten Industrienationen weisen bessere Werte auf. So liege das Verhältnis zwischen Patienten und Pflegenden in den Niederlanden bei 7:1, in Griechenland bei 10:1.

In Deutschland sei ein derartiger Zustand im Hinblick auf den Wohlstand des Landes nicht tragbar, sagt Wolfgang Pasch. Die Auswirkungen seien sowohl für Pflegende als auch für Patienten verheerend. Die Verbleibdauer im Pflegeberuf beträgt nur noch siebeneinhalb Jahre, während selbst die körperliche Unversehrtheit der zu behandelnden Menschen aufgrund des Personalmangels nicht mehr kontinuierlich gewährleistet werden könne.

Das Angebot psychosozialer und emotionaler Unterstützung von Seiten der Pflegenden sei schlichtweg nicht mehr realisierbar. „Wir sprechen von einer Rationierung der Pflege“, so Pasch. Eine Personaluntergrenze sei zwar schon von der alten Bundesregierung für das Jahr 2019 beschlossen worden, doch sie wies einige Schwächen auf. Die Regelungen bezögen sich lediglich auf bestimmte, pflegesensitive Bereiche des Krankenhauses, wodurch die Gefahr entsteht, dass letztlich nicht mehr Personal eingestellt, sondern zwischen verschiedenen Bereichen verlagert wird. Zudem orientiere man sich bei der Bemessung einer Untergrenze an den schlechtesten zehn bis 25 Prozent der Kliniken, erläutert Pasch. „Mit diesen Regelungen wird sich die Personalausstattung in vielen Fällen deutlich verschlechtern. Gute Pflege findet deutlich oberhalb der Grenze statt“, ergänzt er.

Anlässlich der Podiumsdiskussion waren zudem die Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein, SPD-Politikerin und Mitglied des Landtags Christina Weng und Pflegewirt Ludger Risse vor Ort. In einem sind sich alle einig: In der Pflege herrschen systemische Mängel. „Deutschland verdient mit Krankheit Geld. Der Patient ist zu einem Wirtschaftsobjekt geworden“, kritisiert Weng.

Die Forderungen der SPD beinhalten die Einführung eines Personalbedarfsbemessungsinstruments und die Herausnahme der Personalkosten aus den Fallpauschalen, durch die die Vergütung der Pflegenden an die Fallzahl gebunden ist. Solche Maßnahmen gleichen der früheren PPR, deren erneute Einführung Pasch und Risse befürworten.

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