Erntehelfer im Selbstversuch So anstrengend ist die Erdbeer-Ernte in Krefeld

Krefeld · Eva Passers hat das Erdbeerfeld im Griff. Das merke ich schon bei der Begrüßung. „Und Sie sind?“, fragt die 28-Jährige mit hartem wie herzlichen Ton, als ich mich dem Feld am Krefelder Weg nähere.

 Unser Autor Janis Beenen (v.l.), Norbert Boekels, Inhaber Benrader Obsthof, und Mitarbeiterin Eva Passers bei der Arbeit.

Unser Autor Janis Beenen (v.l.), Norbert Boekels, Inhaber Benrader Obsthof, und Mitarbeiterin Eva Passers bei der Arbeit.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Ich bin der Reporter, der an diesem Tag helfen soll. Landwirtin Passers arbeitet für den Benrader Obsthof. Dieser hat dazu aufgerufen, bei der Ernte zu unterstützen. Durch die Corona-Einschränkungen kommen nicht so viele Arbeiter aus Osteuropa wie der Obsthof es gerne hätte. Also sollen Freiwillige, die am Niederrhein leben, als neue Mitarbeiter auf den Acker. Doch kann das jeder mal ebenso? Das will ich prüfen.

Vor mir erstrecken sich über hunderte Meter die Folientunnel. Darin, ganz am Ende, erspähe ich die Helfer. Vor den Tunneln steht mit einer Waage eine Mitarbeiterin, die die 500-Gramm-Schälchen für den Transport sortiert. Passers lehnt dahinter an einem weißen Lieferwagen. Sie fragt sich wohl, was sie mit mir anfangen soll – einem Büromenschen, der mit Sommerjäckchen und frisch geputzten Sportschuhen zur Feldarbeit erscheint.

Meine Einstiegsfrage erhöht Passers Skepsis noch. „Wieso fangen wir schon um 7.30 Uhr an?“, will ich wissen. Schließlich habe ich mich mit der Gewissheit eines langen Schlafs in den Zeitungsjournalismus locken lassen. „In der Hochsaison fangen wir um fünf oder sechs Uhr an“, sagt Passers. So bekomme man alles geschafft und stehe nicht bei 30 Grad am Nachmittag in der Sonne.

Das Erntejahr ist eine Herausforderung. Die Mehrzahl der Leute komme nun doch aus Osteuropa, sagt Passers. Entsprechende Einreiseregeln hat die Politik geschaffen. Etwa 50 Erntehelfer sind schon da. Das reiche aber nicht, sodass sie froh sei über lokale Unterstützung. 15 Deutsche, meist Studierende, helfen. Es sei gar nicht so einfach, passende Leute zu finden. Viele in Kurzarbeit dürften nicht so viel hinzuverdienen, sagt Passers. Doch für den Betrieb sei es wichtig, dass die Leute ein paar Mal pro Woche kommen – die Ernte verlangt Routine.

Dicke Erdbeeren in ein Kistchen, kleine in ein anderes

Passers geht mit mir in einen der Folientunnel. In 260 Meter langen Reihen stehen die Pflanzen. Dazwischen sind schmale Bahnen, die mit Stroh bedeckt sind. Dort hocken mehrere Frauen auf den Knien und arbeiten Pflanze für Pflanze ab. Passers macht vor, worauf es ankommt. Sie kniet vor einem Strauch und hält mit einer Hand die Blätter zurück. Mit Daumen- und Mittelfinger knipst sie die Erdbeere ab. Die Frucht selbst packt sie nicht an – sie soll nicht zerquetscht werden. Dann heißt es: Dicke Erdbeeren in ein Kistchen, kleine in ein anderes und faule in einen Eimer. „Erdbeeren sind Edelobst. Da müssen wir gut mit umgehen“, sagt Passers.

Das Schneckenrennen eines Erwachsenen beginnt. Ich mühe mich Pflanze für Pflanze ab. Richtig zu sortieren verlangt Konzentration, und die Knie brennen schon nach ein paar Minuten. Die Damen in den anderen Reihen ziehen stoisch immer weiter weg. Langsam wird mir klar: Der Glaube, dass ohne Erntehelfer mal eben ein paar Freiwillige die Felder abräumen, ist ein weiterer Corona-Mythos. Genau wie die Mär, dass Menschen daheim nun viel mehr Freizeit haben. Und die Idee, dass die Gesellschaft dringend den Spielbetrieb in der Bundesliga braucht. Naja, seltsame Zeiten, seltsame Ideen.

Passers schaut, wie ich voran krieche und korrigiert. „Nicht schmeißen“, mahnt sie, als ich eine Erdbeere im Stil eines Kugelstoßers ins Körbchen bugsiere. Die Arbeit scheint endlos. Ich schaue auf die Uhr: Erst eine Viertelstunde? Ich war sicher, dass es gleich Mittagstisch auf dem Hof geben müsste. Passers baut mich auf: „Aller Anfang ist schwer.“ Doch klar ist auch: Hier zählen Leistung, Leistung und besonders Leistung. Drei Kisten à fünf Kilo sollten es pro Stunde schon sein. Wer mehr schafft, bekommt eine Prämie. Wenn ich so weiter mache, bekommt der Hof wohl bald Geld von mir. Günter Netzer sprach in einer Spielanalyse einst von einem „schönen Mist“. Und das würde er wohl wiederholen, wenn ich statt der Erdbeere beinahe die halbe Pflanze rupfe. Passers steht neben mir und ahnt wohl, was ich denke. „Es bleibt nicht jeder, viele unterschätzen die Arbeit“, sagt sie.

Dass es Neulinge schaffen, beweist Maike Hoerschgens. Die junge Frau steht zwischen Abitur und Studium. Seit bald drei Wochen ist sie dabei und ist schon Ansprechpartnerin für die deutschen Helfer. Warum? Das beweist sie mit einer Lockerheit, die für den Anfänger irgendwo zwischen Sensation und Wunder einzuordnen ist. Sie kann reden und pflücken. Gleichzeitig! Wahnsinn! Man lerne dazu, sagt Hoerschgens. Natürlich sei die Arbeit körperlich anstrengend. „Aber ich finde, dass man nun helfen sollte“, sagt sie. Irgendwann erlöst mich der Chef des Obsthofs, Norbert Boekels, vom Acker. Sicher auch, um das eigene Geschäft nicht zu schädigen. Ein Teil der Erdbeeren gehe in den Großhandel. „Da wird die Qualität jeden Tag bewertet.“

Obwohl es nun mit Erntehelfern aus dem In- und Ausland ganz gut angelaufen sei, sieht er keinen Anlass zur Entspannung. In den nächsten Wochen brauche er noch doppelt so viele Leute. Die Freiwilligen aus der Region müsse man zudem etappenweise anlernen. Und deren Pensum sei in der Regel nicht so hoch wie das der Arbeiter aus Osteuropa. Doch egal, wer sich noch probiert: Die rote Laterne unter den Pflückern geht in die Redaktion dieser Zeitung.

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