Inforeihe Psyche Schizophrenie: Die Stimmen in seinem Kopf

Halluzinationen und Wahnvorstellungen bestimmten lange Lukas Stahls Leben. Heute weiß er: Grund dafür ist die Schizophrenie.

Inforeihe Psyche: Schizophrenie: Die Stimmen in seinem Kopf
Foto: abi

Krefeld. „Oh man, irgendetwas stimmt nicht mit mir.“ Als Lukas Stahl (Name von der Redaktion geändert) sich das zum ersten Mal bewusst macht, da hat er bereits seine zweite Wohnung verloren. Da hat er „ein oder zwei Monate“, vielleicht auch länger, auf der Straße gelebt, immer wieder Streitgespräche bis zur Eskalation mit seiner Mutter geführt. Er hat sich mit Drogen zugedröhnt, wohl auch um den Zorn auf sich selbst, darüber, „was ich alles versäumt habe“, erträglicher zu machen; später, um die Panik davor beobachtet zu werden, aus seinem Kopf zu drängen.

Mit Mitte 20 realisiert Lukas Stahl: „Ich brauche Hilfe.“ Er leidet unter dem, was Experten als „Prototyp einer schweren psychischen Erkrankung“ bezeichnen: Schizophrenie.

„Bis ich 18 war, hatte ich ein ganz normales Leben“, sagt der 29-Jährige heute. Realschulabschluss, die kaufmännische Ausbildung bricht er ab, vielleicht hat da ja alles angefangen? „Ich bin auf die schiefe Bahn gekommen, habe meine Lebensziele — einen guten Job, ein Auto, mit beiden Beinen im Leben zu stehen — verloren.“ Stattdessen trifft er sich mit „den falschen Freunden“ in seiner ersten eigenen Wohnung, beginnt Speed und Pep zu nehmen, kifft. „Meine Freunde aus der Schule habe ich verloren.“ Die Mutter macht sich Sorgen, ihr Sohn will das nicht hören. „Ich wollte mein eigenes Leben leben.“

Ein Bild davon, was das in den vergangenen Jahren für ein Leben gewesen sein muss, kann Lukas Stahl selbst nur mühsam aus Erinnerungsbruchstücken zusammensetzen. Ein Puzzleteil ist dieser „Riesenstreit“ mit seiner Mutter. Worum es ging, daran erinnert er sich nicht mehr, aber „ich war so wütend, dass ich den Staubsauger gegen den Schrank geworfen habe“, erzählt der 29-Jährige mit gesenktem Blick. „Meine Mutter war total geschockt — und das hat mich geschockt.“ Ein weiteres Puzzlestück ist der Tag, an dem sie mit einem Arzt in der Wohnung ihres Sohnes auftaucht und die Situation erneut eskaliert. „Ich wollte mir nicht helfen lassen, habe herumgebrüllt, bis die Polizei kam und mich ins Krankenhaus gebracht hat.“

Dann verschwimmen die Erinnerungen. Lukas Stahl kommt in die Psychiatrie, dann ist er wieder zuhause und dröhnt sich mit Drogen zu. Seine Wohnung beschreibt er als „verwahrlost, sie war voller Müll. Meine Mutter hat mir immer wieder geholfen, aufzuräumen, aber dann war da wieder Chaos“, erzählt er. Dazwischen reihen sich mehrwöchige Klinikaufenthalte, deren Sinn der 29-Jährige nicht versteht. „Ich wollte nicht glauben, dass ich krank bin. Das hätte mich nur noch mehr heruntergezogen.“

Zuhause versinkt Lukas Stahl weiter im Chaos. „Es gab Tage, an denen habe ich mich mit Schuhen ins Bett gelegt, weil ich es nicht hinbekommen habe, sie auszuziehen.“ Er verliert seine Wohnung, lebt auf der Straße, dann ist er wieder in der Klinik. Auch seine neue Wohnung kann er nicht lange halten. „Stress mit dem Vermieter, wegen der üblen Typen, die bei mir herumhingen.“

Und dann ist da plötzlich die Angst verfolgt zu werden, wie eine Erleuchtung, die alles verständlich macht. „Ich konnte nicht mehr raus, nicht mehr einkaufen gehen. Ich war mir sicher, die Leute beobachten mich, reden über mich. Und ich habe angefangen, mit mir selbst zu sprechen.“ Auch die Erinnerungen „an gute, alte Zeiten“ quälen ihn. „Ich wollte dieses Leben unbedingt zurück.“ Endlich, sagt Lukas Stahl, habe er realisiert: „Mir geht’s echt nicht gut, ich bin bereit dazu, in eine Therapie zu gehen.“

Dass die mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden ist, lernt er in einer psychiatrischen Einrichtung für Jugendliche in Kaiserswerth, in der Klinik Königshof, später auch auf einer geschlossenen Station im Alexianer.

Heute ist Lukas Stahl mit Medikamenten so gut eingestellt, dass er in eigener Wohnung mit Angeboten des betreuten Wohnens des Alexianer Krankenhauses lebt. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er auch einen Job: „Seit fast zwei Jahren arbeite ich in der Druckerei des Heilpädagogischen Zentrums in Kempen“, erzählt er stolz. Fast genauso stolz wie auf die Einsicht: „Ich habe Schizophrenie und brauche Hilfe — und ich nehme diese Hilfe auch an.“

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