Lesung Autorin stellt ihr Buch über die Vintage-Queen vor

Krefeld · Die Niederländerin Saskia Goldschmidt war zu Gast beim Literarischen Sommer und in Hüls.

 Autorin Saskia Goldschmidt gab beim Literarischen Sommer vor schöner Kulisse eine Lesung.

Autorin Saskia Goldschmidt gab beim Literarischen Sommer vor schöner Kulisse eine Lesung.

Foto: Andreas Bischof

Der Ort der Lesung war gut gewählt, das Ambiente der Galerie SoF in Hüls – fast am Bahndamm des Schluffs gelegen – passte bestens zur Lesung von Saskia Goldschmidt. In die Mitte zahlloser farbenfroher Gemälde an den Wänden und auf den Trägern der ehemaligen Werkshalle hatte man ein buntes Sortiment von Sitzgelegenheiten gestellt. Sie stammten wohl aus dem Fundus des Kreschtheaters, das die Lesung mit Requisiten und Technik unterstützte. So konnte auch die Autorin des Abends auf einer kleinen Bühne in einem monumentalen Sessel Platz nehmen, der in einer Theateraufführung einem dicken König einen bequemen Thron für lange Audienzen dargestellt hätte.

Ein bisschen Theaterkulisse war für eine Lesung der niederländischen Autorin sehr passend. Maren Jungclaus vom Literaturbüro NRW, die die Veranstaltung moderierte, stellte in einem lockeren Gespräch Goldschmidt vor. „Ich habe dreißig Jahre Theater gemacht“, erklärte die Autorin und fügte hinzu, dass sie neben ihrer Tätigkeit als Schauspielerin und Theaterproduzentin auch Kommunikationstraining für Ärzte gemacht habe. Es war ein großer Schritt für sie, trotzdem zum Schreiben zu kommen. „Ich habe immer die Idee gehabt, ich habe nichts zu sagen“, sagt sie.

Ein Ball sorgte für die Idee
zu dem Roman

Als Kind der Nachkriegszeit (Jahrgang 1954) und Mädchen in einer jüdischen Familie, der das Schicksal vieler Glaubensgenossen widerfahren war, kamen ihr ihre Gedanken und sie sich selber unwichtig vor. Doch nach ihrem Burnout fragte sich Goldschmidt: „Warum muss ich immer nett gefunden werden“ und begann, ihre Familiengeschichte zu recherchieren. Daraus wurde ihr erstes Buch: „Um jeden Preis glücklich“.

Manches aus ihrer Vergangenheit durchlebt und prägt auch ihre Hauptperson aus ihrem neuen Buch „Die Vintage-Queen“. Koko hat ebenfalls eine schwierige Kindheit und umgibt sich gerne mit bunten Traumwelten. Für den weiten Bereich des Handels mit gebrauchten Kleidungsstücken fehlten Goldschmidt jedoch die nötigen Kenntnisse. Da wollte sie ihre fiktive Geschichte keineswegs auf der reinen Phantasie basieren lassen. „Ich fange immer an mit dem Recherchieren – erst in der Wirklichkeit, in Archiven, führe auch Gespräche und dann fange ich an, Fiktion zu schreiben.“ Für ihre Vintage-Queen gab es mit dem Buchball, der in Amsterdam eine Literaturreihe einleitet, ähnlich derjenigen des Literarischen Sommers, den Anstoß. Das übliche Problem „Ich habe nichts anzuziehen“ führte sie auf der Suche nach einem passenden Kleid für das gesellschaftliche Ereignis in die Second-Hand-Läden von Amsterdam. Schließlich besuchte sie nicht nur die Vintage-Queens in Amsterdam, sondern später auch noch in den gesamten Niederlanden und in Belgien.

Kokos Karriere als Vintage-Queen startet auf einer Einkaufstour in Belgien bei den Frauen der Bergleute, genauer italienischer Gastarbeiter im belgischen Revier. Als Nebenerwerb betrieben zahlreiche Frauen kleine Läden, zum Teil auch stark auf die Erwartungen der Italienerinnen ausgerichtet. Da stößt Koko auf ein Ladenschild „Scarpa“ (Schuh) an einem Haus und sucht das Gespräch mit einer Bewohnerin dieses Hauses.

Sehr lebendig und mit manchem Augenzwinkern schildert Goldschmidt, wie es in diesem Bergarbeiterhaushalt aussieht. Alltagsgeschichte blitzt authentisch wie unterhaltsam durch. Man bekommt Mitleid mit der Bergmannsfrau, deren Schuhgeschäft als Misserfolg endete, denn die Zechenschließung ließ ihre potentielle Kundschaft wegziehen.

Im Geiste folgt man der Bergmannsfrau und Koko in eine Scheune und ist so erstaunt wie die Vintage-Queen: „Eine Scheune bis zur Decke voller Schuhkartons.“ Die verhinderte Schuhverkäuferin stöhnt: „Das war für ganz Belgien und den Großmarkt! Die Schuhe sind neu, aber nicht mehr modern. Aus den 40er Jahren! Wer will heute noch altmodisch sein?“ Koko sieht das anders: „Funkelnagelneue Schuhe aus den Vierzigern! Hipper geht es nicht!“ Und der Beginn ihres wirtschaftlichen Erfolgs liegt vor ihr.

In den Schilderungen wird deutlich, welche intensive Recherche inklusive Besichtigungen möglicher Schauplätze der Handlung in den lebendigen wie einfühlsamen Beschreibungen liegen. Auch der zweite Handlungsstrang, den Goldschmidt mit einem Buchausschnitt vorstellte, basiert auf sorgfältigen Recherchen vor Ort. In diesem Romanausschnitt stellt sie Kokos Freund Joshua vor. Joshua ist ein jüdischer Altkleiderhändler in Amsterdam. Vor dem Zweiten Weltkrieg lag der Handel mit gebrauchter Kleidung zu einem großen Teil in den Händen jüdischer Kaufleute.

Für die Autorin ergab sich daraus ein weiterer Schwerpunkt ihrer Forschungen. Über das Jüdische Museum in Amsterdam bekam sie Kontakte zu älteren Personen, die bereit waren über ihre Erinnerungen an die Nachkriegszeit zu erzählen. So konnte die fiktive Figur des Joshua authentische Züge bekommen.

Während der Lesung war unübersehbar, dass die Autorin auch Schauspielerin ist. Mit ihrer Mimik und kleinen Gesten unterstrich sie – auf dem Thron sitzend – die atmosphärischen Schilderungen und ließ ihre Figuren sehr lebendig werden.

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