Reisen hilft gegen Vorurteile

Kâzim Karasu fährt seit Jahren mit seinen Schülern in die türkische Großstadt. Dabei entstehen Freundschaften.

Krefeld. Die Sehnsucht ist immer da. "Wenn ich in Krefeld bin, zieht es mich nach Kayseri", sagt Kâzim Karasu. "Und wenn ich in Kayseri bin, vermisse ich Krefeld." Diese Zerrissenheit ist nicht verwunderlich, schließlich hat der 58-Jährige jeweils die Hälfte seines Lebens in der Türkei und in Deutschland verbracht. "Ich liebe meine Heimat", sagt er. "Denn ich habe dort meine Jugend erlebt und habe noch heute viele Freunde und Verwandte, die dort wohnen." Aber auch in Krefeld ist er tief verwurzelt. "Ich habe mich hier nie als der Ausländer gefühlt, nie fremd."

Karasu ist Lehrer für Muttersprache und Deutsch an der Theodor-Heuss-Schule. Außerdem ist er in der Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) als Berater tätig. "Nach dem rechtsextremen Brandanschlag 1993 auf ein Zweifamilienhaus in Solingen habe ich gemeinsam mit dem damaligem Schulleiter Gerhard Kühnen überlegt: Was können wir gegen Extremismus tun?", erinnert sich Karasu. "Wir sind zu dem Schluss gekommen: Vorurteile bekämpft man am besten, indem man das Fremde kennenlernt."

Der Lehrer suchte eine Partnerschule in seiner Heimatstadt und startete 1994 die erste Fahrt mit einer Schülergruppe. "Ein Drittel der Kinder war türkischer Herkunft, damit sie Dolmetscher spielen konnten." Die türkischen Zeitungen und selbst das Fernsehen berichteten damals über den Besuch aus Deutschland und titelten "Feindschaft nein" oder "Türkisch-deutsche Freundschaft".

Acht Tage lang lernten die Krefelder die berühmte Gastfreundschaft der Türken kennen - und eine der wenigen Großstädte in der Türkei. Fast eine Million Menschen leben in Kayseri, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. "Als ich weggegangen bin, hatte Kayseri noch so um die 300000 Einwohner", sagt Karasu. Riesige Industriegebiete prägen heute das Stadtbild, aber auch der erloschene fast 4000 Meter hohe Vulkan Erciyes, an dessen Fuß die Stadt gebaut wurde und der als Skigebiet genutzt wird.

"Kayseri ist fast 2000 Jahre alt", berichtet Karasu. "Es gibt dort viele alte imposante Moscheen, einen großen überdachten Basar wie in Istanbul, eine Burg in der Innenstadt und viele Museen. Die Region Kappadokien ist landschaftlich sehr reizvoll." Aber auch die Moderne prägt das Stadtbild: Da die Bevölkerungszahl in den vergangenen Jahren explodiert ist, wurden riesige Straßen gebaut, ein neues Stadion und ein großer Flughafen.

Karasu hat mittlerweile schon viele Reisen mit Schülern, Lehrern, Politikern sowie Unternehmern organisiert und auch viele Gegenbesuche auf die Beine gestellt. Somit hat er den Grundstein für die Städtepartnerschaft gelegt, die 2008 offiziell besiegelt wurde. "Es war immer sehr schön, doch den ersten Besuch werde ich wirklich niemals vergessen", sagt er. "In der kurzen Zeit sind zwischen den Schülern echte Freundschaften entstanden. Alle haben beim Abschied, der sich zwei Stunden in die Länge gezogen hat, geweint."

Besonders ist ihm das Fazit seiner Schülerin Melanie im Ohr geblieben. Auf dem Rückflug sagte sie dem völlig übermüdeten Lehrer: "Als ich nach Kayseri geflogen bin, hatte ich Angst. Nach dem, was ich vergangene Woche erlebt habe, werde ich nichts Schlechtes mehr über die Türken sagen."

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