Türkei-Referendum Referendum und Erdogan spalten Krefelder Türken

Hüseyin Sahin kritisiert das Schweigen und fordert mehr Mut.

Türkei-Referendum: Referendum und Erdogan spalten Krefelder Türken
Foto: Jochmann

Krefeld. Krefelds Türken können in diesen Tagen nicht viel richtig machen. Sympathisieren sie mit Erdogan, ernten sie Ärger und Unverständnis. Sprechen sie gegen Erdogan, gibt es Druck und Drohungen. Familien sind zerrissen, die Angst, sich zu positionieren ist allgegenwärtig. Hüseyin Sahin lebt seit 1961 in Krefeld. Er lehnt Erdogan ab. Und spricht trotzdem. Weil einer mal das ängstliche Schweigen brechen muss, sagt er. „Es geht doch um unser Leben hier in Krefeld.“

Erdogan spaltet sogar in Krefeld Schulklassen, Kita-Eltern, Brüder, Gemeinden. Sahin beobachtet das mit Sorge. Er ist ein guter Beobachter. Ausbildung bei der Verseidag, viele Jahre als Gastronom in Krefeld unterwegs, zuletzt mit dem „Destina“an der St. Töniser. Ein bekanntes Gesicht in Krefeld, gesellschaftlich, nicht politisch. Sahin versucht zu erklären, wo die türkische Community im April 2017 steht. Er will die innere Zerrissenheit begreifbar zu machen. Und setzt beginnt mit dem großen Hebel „Integration“, die „keine Einbahnstraße“ sei.

Viele Krefelder Türken tummeln sich am liebsten in der eigenen Community. Das sei auch ein Teil des Erdogan-Problems. Die erste Generation türkischer Gastarbeiter habe bewusst parallel gelebt, es gab auch kaum öffentliche Angebote, Sprachkurse oder dergleichen. Sahin selbst entstammt der zweiten Generation, die als Kinder nach Deutschland kamen und sich trotz großer Sprachschwierigkeiten irgendwie durchboxen mussten. Der 57-Jährige selbst ist auf dem Ricarda-Huch knapp am Abi vorbeigeschrammt. „Aus der dritten Generation haben viele ihren schulischen Weg gemacht, aber keine Chance auf eine Job bekommen. Allein 2014 haben 38000 türkische Akademiker Deutschland verlassen. Und die junge Generation sucht nach einer Perspektive.“

In vielen Familien werde zwar eine Menge über Politik gesprochen, erklärt Sahin, aber eben nicht diskutiert. „Im Fall Erdogan gibt es nur Schwarz oder Weiß. Es gibt Kinder, die fangen in der Schule an zu weinen, wenn jemand etwas contra Erdogan sagt.“ Deshalb fordert Hüseyin Sahin die Türken in Krefeld auf, ihre Kinder zur freien Meinungsbildung zu erziehen anstatt einzunorden. „Das muss in den Familien passieren, das kann keine Regierung, keine Gemeinde.“

Er hat selbst vier Kinder, ist mittlerweile Deutscher. „Ich sage Ihnen, Ihr dürft keine Vorurteile haben und müsst auch die andere Meinung akzeptieren. Aber sagt dabei auch, wer Ihr selbst seid.“ Der Austausch von Meinungen, findet Sahin, schaffe politische Bildung beim Nachwuchs. „Das wird nichts, wenn schon die Eltern nur zwischen Gut und Böse wählen.“

Ein großes Problem sei unvermindert der Konsum von türkischen Medien. „Die sind zu 90 Prozent auf Regierungspropaganda ausgerichtet. Die Reden sind immer die gleichen, sie handeln von Flughäfen und Brücken und davon, dass alle gegen die Türken sind. Menschen, die hier in Krefeld leben, saugen das auf.“ Man stelle sich vor, meint Sahin, OB Meyer würde den Krefeld andauernd von München erzählen. „Das wäre genau so relevant.“

Sahin kritisiert aber auch die deutsche Regierung. „Erdogan ist nicht heute zu Erdogan geworden. Solange deutsche Firmen in der Türkei ohne Zwischentöne viel Geld verdienen konnten, war alles okay.“ Und: „Mesut Özil hat mehr für die Integration getan als jeder Politiker.“

Die Türkei, sagt Sahin, ist ein schönes Land mit herrlichen Menschen. „Wir aber leben hier. Und wir müssen hier zusammenkommen und miteinander reden.“

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