Polizist riet: „Tretet die Zäune ein“

Mehrere Krefelder erlebten die Panik vor dem Tunnel in Duisburg mit: „Die Notausgänge wurden nicht geöffnet.“

Krefeld. Pia Hecheltjen (20), Julia Kersten (21) und Marc Buchholz (20) haben am Samstag Riesenglück gehabt. Die drei Freunde aus Hüls waren zur Loveparade nach Duisburg gefahren - und sie haben die Massenpanik vor dem Tunnel geschockt, mit Kreislaufproblemen, aber sonst unverletzt überstanden. Ihr Bericht, den sie auch an die Polizei in Duisburg gemailt haben, dokumentiert die Hilfslosigkeit und Verzweiflung von Polizeibeamten, Sicherheitskräften und Helfern, aber auch eine unbegreifliche Folgsamkeit der Ordnungskräfte gegenüber der Weisung des Veranstalters, die Notausgänge nicht zu öffnen.

Bereits um 15.45 Uhr wollten die drei Freunde aus Hüls nur noch weg vom Güterbahnhof - und mit ihnen tausende anderer auch, die vor und im Tunnel auf die Massen stießen, die ihnen entgegen kamen. Genau das habe zur Katastrophe geführt - und nicht nur die auf das Veranstaltungsgelände drängenden Menschen.

Zu denen, die auf das Gelände wollten, gehörte ungefähr zu diesem Zeitpunkt das Uerdinger Ehepaar Elke und Klaus Nauen, das um 15.30 Uhr in Duisburg eingetroffen und vom Bahnhof aus von der Masse "ins immer enger werdende Wohngebiet hineingedrängt" worden war. Die Mittvierziger wurden auf die Rampe gedrückt. "Warum machen die Polizisten nichts?", dachte Elke Nauen und klammerte sich an ein Verkehrsschild, geschützt von ihrem Mann, unter dessen Händen sich das Schild verbog - so groß war der Druck von hinten. "Nicht umkippen, du darfst hier nicht umkippen," sagte sich Elke Nauen immer wieder.

"Schon kurz nach 16 Uhr war klar, dass es Stunden dauern würde, bis wir den Hauptbahnhof erreichen," berichten Pia Hecheltjen und Julia Kersten. Immer wieder hörten sie von Sicherheitskräften und Polizisten, dass der "Veranstalter sein Okay zur Öffnung der Notausgänge nicht gegeben hat." Julia Kersten bekam plötzlich keine Luft mehr, hatte eine Panikattacke.

"Tut euch am besten mit mehreren Leuten zusammen und tretet die Zäune um das Gelände ein. Anders kann ich euch nicht helfen", habe ein Beamter den Krefeldern geraten und auf Rückfrage ergänzt: "Wartet ein paar Minuten, bis etwas passiert ist, dann werden die Veranstalter hoffentlich endlich erlauben, dass wir die Notausgänge öffnen."

Pia, Julia und Marc warteten nicht, sondern kletterten eine Böschung hoch und erreichten gegen 17 Uhr das rettende Geländer. Ein Polizist schickte die jungen Leute weg, um Platz für nachrückende Menschen zu schaffen. Währenddessen hatte die Panik vor dem Tunnel ihren Höhepunkt erreicht. Das Ehepaar Nauen hatte es geschafft, mit einem weiteren Pärchen in einer Kette "aus dem Loch zu kommen." Später sehen sie im Fernsehen das Schild wieder, das ihnen Halt gab - und darunter zwei Tote.

Derweil kämpften sich die drei Hülser Freunde noch auf dem Veranstaltungsgelände in Richtung Notausgänge. Zwar schickte ein Polizeibeamter die Hülser zu einem Zelt des Malteser Hilfsdienstes (MHD) an einem der noch immer geschlossenen Notausgänge: Doch auch dort erklärte ein Beamter, der Veranstalter habe die Notausgänge nicht freigegeben.

Julia Kersten: "Menschen weinten und fingen an zu randalieren." Schließlich entdeckten sie einen weitereren Notausgang, der immerhin einen Spalt geöffnet war. "Um 19 Uhr haben wir mit der Rheinbahn den Hauptbahnhof in Düsseldorf erreicht, wo wir von Freunden abgeholt wurden", so Julia Kersten gegenüber der WZ.

Das Ehepaar Nauen benötigte drei Stunden für den Rückweg nach Uerdingen. "Irgendwie sind wir an den Absperrungen vorbei in den Duisburger Bahnhof gekommen. Wir konnten Fahrkarten ziehen, aber es fuhren keine Züge mehr." Das Ehepaar flüchtete zu Fuß aus dem nächsten Chaos im Hauptbahnhof in Richtung Zoo und erwischte schließlich einen Ersatzbus nach Uerdingen. Dort schlossen sie am Abend erleichtert ihren Sohn Laurenz (12) in die Arme.

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