Perfide Masche Ermittler in Krefeld warnen: Zahl der Loverboy-Fälle nimmt zu

Krefeld · Bei der Loverboy-Masche werden Frauen und Mädchen in die Zwangsprostitution gelockt. Ein verdeckter Ermittler aus Krefeld berichtet.

 Christian Müller, Leiter der Kriminalinspektion 1 (links), Polizeisprecherin Karin Kretzer und Polizeipräsident Rainer Furth informierten.

Christian Müller, Leiter der Kriminalinspektion 1 (links), Polizeisprecherin Karin Kretzer und Polizeipräsident Rainer Furth informierten.

Foto: Andreas Bischof

Es ist eine perfide Masche, mit der sich auch Ermittler in Krefeld immer wieder beschäftigen müssen: Die Täter täuschen Mädchen und Frauen Liebe vor, um sie emotional abhängig zu machen. Sie isolieren sie allmählich von Familie und Freunden. Unter Vorwänden bringen sie ihre Opfer schließlich dazu, ihren Körper für Geld zu verkaufen. Die Frauen werden wie „lebende Gummipuppen“ behandelt und durch „Sexkäufer“ kaputt gemacht, hatte im Juli eine Betroffene im Düsseldorfer Landtag verdeutlicht. „Die Methoden der Loverboys sind so perfide, dass auch junge Mädchen aus der Mitte der Gesellschaft gefährdet sind“, warnen die Ermittler der Polizei in Krefeld. Nicht weniger deutlich wird ein Kriminalbeamter, der sich für die Behörde vor allem um die Bereiche Menschenhandel und Prostitution kümmert. Aufgrund laufender Ermittlungen darf sein Name nicht an die Öffentlichkeit gelangen.

2018 sind laut einem Ende September veröffentlichten Lagebild der NRW-Polizei insgesamt fünf Fälle aus dem Bereich „Menschenhandel und Ausbeutung“ in Krefeld bekannt geworden. 80 bis 90 Prozent der bekannten Fälle in Krefeld würden mittlerweile mit der Loverboy-Masche zusammenhängen, schätzt der Ermittler aus Krefeld. Schon jetzt seien ihm fünf Fälle aus dem Jahr 2019 bekannt, bei denen diese Methode angewandt wurde.

Mit den Menschenhandel-Fällen aus 2018 liegt Krefeld im NRW-Vergleich im oberen Drittel auf Platz sieben. Gleich davor liegen Duisburg (7) und Düsseldorf (8). Köln ist an der Spitze mit 20 Fällen. Dabei habe die Seidenstadt ein im Vergleich zu anderen Städten kleines Rotlichtmilieu. Etwa 20 Frauen sind laut Polizei im Bordell beschäftigt. Der Straßenstrich sei kaum wahrnehmbar und es gebe nur eine angemeldete Wohnung. Wenn man es hochrechne, gebe es rund 50 Prostituierte in Krefeld. Das bedeutet: Etwa jede zehnte müsste rein statistisch gesehen im Jahr 2018 Opfer von „sexueller Ausbeutung“ geworden sein. Zum Vergleich: In der Domstadt bieten laut dem Experten aus Krefeld tausende Prostituierte ihre Dienste an. Aber: Laut Krefelds Polizeipräsidenten Rainer Furth gehen die Ermittler davon aus, dass die Dunkelziffer „immens“ ist. Es gebe zum Beispiel Frauen, die zwar in Krefeld wohnen, aber in sogenannten Saunaclubs arbeiten. Beim Thema Menschenhandel gehe es aber nicht nur um sexuelle Ausbeutung, sondern auch um „Ausbeutung der Arbeitskraft“, auch um Menschen, die zum Betteln in die Innenstadt gesetzt werden.

Laut Angaben des Krefelder Ermittlers, dessen Name nicht genannt werden darf, sind in Krefeld zwei Sachbearbeiter hauptamtlich in dem Bereich eingesetzt. Mit Blick auf die Personalknappheit im Land sei das „Luxus“.

Die Ermittler würden monatlich alle Prostituierten aufsuchen, um ihre Arbeit vorzustellen und Vertrauen aufzubauen. Letzteres gestalte sich häufig schwierig, 80 Prozent der Opfer von Menschenhandel in NRW kommen laut Lagebild nicht aus Deutschland. Zudem würden die Beamten von den Tätern als „Buhmänner“ dargestellt. Dabei könnten die Prostituierten meist nur über Smartphone-Messenger-Dienste im Notfall Hilfe rufen, wenn sie überhaupt der Kontrolle der Täter entkommen können.

In Krefeld sind laut Angaben des Ermittlers viele Frauen aus Rumänien als Prostituierte tätig. Auch eine Frau, die er „Anna“ nennt, sei aus Rumänien in die Stadt gekommen. Bevor sie nach Deutschland kam, sei sie mit dem Loverboy anderthalb Jahre zusammen gewesen. Sie habe gewusst, dass sie als Prostituierte arbeiten soll, aber es sei ihr ein „tolles Leben“ in Deutschland versprochen worden. Dann folgten Gewalt, Isolation und Kontrolle.

Laut dem Ermittler werden unter anderem die Handys der Opfer durch Prepaid-Modelle ersetzt, um die Kommunikation zu Familie und Freunden zu unterbrechen. Anna habe aber die Telefonnummer ihrer Tante auswendig gekannt. Über Umwege kam der Hilferuf schließlich bei der Polizei in Krefeld an. Am nächsten Morgen durchsuchten die Beamten eine Wohnung und fanden sie. Trotz des Hilferufs und blauer Flecken wollte die Frau den Täter zunächst nicht belasten, die Polizei musste sie gehen lassen. Ihre Familie habe sie nach Rumänien gebracht. Als sie dort doch noch Anzeige erstatten wollte, sei sie beschuldigt worden, weil sie mit dem Mann nach Deutschland gegangen war. Schließlich kam sie nach Krefeld zurück, um sich wieder an die hiesige Polizei zu wenden.

Der Täter konnte zu rund drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden. Laut dem anonymen Ermittler ein „mildes Urteil“. „Man hätte ein Zeichen setzen können“, meint er. Der Lohn für die Arbeit der Ermittler: Heute sei Anna glücklich in einer Beziehung, übt einen Beruf aus und arbeite sogar mit der Polizei zusammen, um im Rahmen der Ausbildung zu helfen.

Bei einem zweiten Krefelder Fall ist eine 14-Jährige aus Nigeria unter dem Vorwand eines Vodoo-Zaubers im Eros-Center an der Mevissenstraße gelandet. Die Polizei sei bei einer Routine-Kontrolle auf die Minderjährige getroffen. Als Täter konnten eine Frau aus Nigeria und ein Mann aus den Niederlanden ermittelt werden. Auch dieser Fall hatte für den Ermittler ein glückliches Ende: Die 14-Jährige sei zunächst in einem Kinderheim untergebracht worden und habe den ganzen Tag geschaukelt, dem Ermittler sei es so vorgekommen, als habe sie da ihre Kindheit nachgeholt.

Es gibt aber auch Fälle, die kein glückliches Ende finden. Der Beamte erzählt von einer 17-Jährigen aus Deutschland, die mittels Versprechungen und teuren Anschaffungen in die Prostitution getrieben wurde, und bis zum Ende zum Täter gehalten habe.

Ein Appell der Krefelder Beamten richtet sich an die Freier. Sie sollen sich melden, wenn ihnen minderjährige oder verletzte Prostituierte auffallen. Zudem appelliert der Experte der Polizei an die Schulen — auch dort müsse noch mehr sensibilisiert werden. Denn es könne jeden treffen.

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