Ohne Luther wäre sie nicht Pastorin

Zum 500. Mal jährt sich heute die Veröffentlichung der 95 Thesen. Über das Jubiläum, die Reformation und die Feierlichkeiten spricht Pastorin Anke Brüggemann-Diederichs im Interview.

Ohne Luther wäre sie nicht Pastorin
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Pilgerwege, Speisen wie zu Luthers Zeiten, Ausstellungen, Konzerte, Vorträge, Diskussionen, Filmvorführungen, besondere Gottesdienste — die Angebote rund ums Reformationsjubiläum seit dem 31. Oktober vergangenen Jahres waren vielfältig. Heute nun jährt sich tatsächlich die Veröffentlichung von Martin Luthers 95 Thesen zum 500. Mal. Und der Evangelische Gemeindeverband Krefeld lädt zu einem Zentralgottesdienst in die Lutherkirche ein. Pfarrerin Anke Brüggemann-Diederichs aus Bockum leitet ihn gemeinsam mit Pfarrer Marc-Albrecht Harms aus Fischeln. Die WZ sprach mit ihr über diesen Gottesdienst, das vergangene Jahr, die Bedeutung der Reformation im Heute und was sie selbst dazulernen konnte.

Ist es etwas Besonderes für Sie, den Zentralgottesdienst des Gemeindeverbands zu leiten?

Anke Brüggemann-Diederichs: Zunächst muss ich sagen, dass dieser jetzige Reformationstag trotz des Jubiläums nicht die enorme Bedeutung hat, die vielleicht von einigen erwartet wird. Der Reformationstag vor einem Jahr, der das Jubiläumsjahr eingeläutet hat, war für uns das Besondere. Er begann in der Alten Kirche, dann gab es einen Pilgerweg zur Friedenskirche, einen gottesdienstlichen Abschluss und Empfang. Das war ein Event. Der jetzige Reformationstag hat im Vergleich dazu im Bewusstsein der Leitenden in Kirche und Gemeinden nicht so eine große Bedeutung. Man muss sagen, dass wir zwar jetzt erst die 500 erreicht haben, aber das Jahr davor eines voller Ereignisse in jeder Gemeinde war. Das hat auch viel Kraft gekostet. Das hat niemand aus dem Ärmel geschüttelt.

Hat der von Ihnen und Pfarrer Harms vorbereitete Gottesdienst denn trotzdem besondere Aspekte?

Brüggemann-Diederichs: Pfarrer Harms und ich feiern einen normalen Gottesdienst, der in der Vorbereitung genauso wichtig wie jeder andere Sonntagsdienst war. Aber während der Ort des Reformationsgottesdienstes jedes Jahr wechselt, ist es schon wichtig, dass er dieses Jahr in der Lutherkirche stattfindet. Was für uns auch etwas Besonderes ist, dass ein Chor singt. Das ist etwas, das durch die Reformation begann, dass Choräle entstanden und Chöre von Laien sangen. Außerdem finde ich sehr gut, dass dieser zentrale Gottesdienst von einem Mann und einer Frau geleitet wird. Das ist das, was uns von den Katholiken unterscheidet, dass Frauen im pastoralen Dienst arbeiten. Und das ist, was schon durch Luther angelegt wurde. Er hat ganz klar gegen die Geringschätzung von Frauen gesprochen. Wenn es auch bei uns 450 Jahre gedauert hat, bis Frauen im Pfarrberuf gleichberechtigt waren.

Sie beziehen auch einen katholischen Kollegen in den Gottesdienst zum Reformationstag ein. Warum?

Brüggemann-Diedrichs: Das war uns ganz wichtig. Pastoralreferent Ulrich Hagens wird die Schriftlesung halten und mit Pfarrer Harms die Fürbitten lesen. Wir sehen das als Zeichen: Es gibt ganz klar nicht die Trennung, die durch die Reformation entstanden ist, sondern zwischen protestantischer und katholischer Kirche wird immer enger zusammengearbeitet.

Und wird das Jubiläum Thema sein?

Brüggemann-Diederichs: Wir haben uns schon im Vorfeld gefragt, ob die Menschen, die zum eigentlichen Jubiläumsgottesdienst kommen, gerne eine Art Zusammenfassung hätten, was das vergangene Jahr an Aspekten zum Leuchten gebracht hat. Ich glaube, das ist sehr schwierig, weil die Veranstaltungen sehr vielfältig waren. Wir besinnen uns auf die protestantische Tradition, dass für jeden Feiertag ein Bibeltext vorgeschlagen ist. Damit man sich in der Predigt nicht jeden Sonntag nur mit seinen Lieblingsgedanken beschäftigt. Wir haben die Bibel als unsere Grundlage. Auch das war etwas, was die Reformation noch einmal betont hat. Die Bibel hat unseren Glauben und unser Handeln zu prägen.

Glauben Sie, dass das Reformationsjubiläum und der Versuch zu zeigen, welche Auswirkungen die Reformation bis in die heutige Zeit hat, bei den ganz normalen Menschen angekommen ist?

Brüggemann-Diederichs: Ich glaube schon, dass bestimmte Veranstaltungen die Menschen, die zur Kirche gehören, aber nicht regelmäßig zu den Gemeinden Kontakt haben, erreicht haben. Alle haben sich bemüht, entsprechende Angebote zu machen. Bei den Kirchenfernen gelang das vielleicht durch überregionale Dinge wie zum Beispiel den Lutherfilm. Und zu Musik, Diskussionen und Ähnlichem sind bestimmt Neugierige gekommen. In meiner Gemeinde in Bockum gab es beispielsweise zwei besondere Gottesdienste, in denen Laien Teile der Predigt übernahmen. Davon haben sich auch Leute angesprochen gefühlt, die sonst nicht kommen.

Was hat für Sie das Jubiläumsjahr bedeutet?

Brüggemann-Diederichs: Für mich persönlich ist das Priestertum aller Gläubigen, für das Luther den Grundstein gelegt hat und das von der Rheinischen Landeskirche zu Ende gedacht wurde, eine große Errungenschaft der Reformation. Also, dass jeder Laie, der nicht Theologie studiert hat, sich zum Predikanten ausbilden lassen kann. Und, dass ich als Frau als Pastorin arbeiten darf.

Ich als Theologin habe in diesem Jahr noch Neues gelernt. Luther hat lange darum gerungen, ob Gott gnädig ist oder ihn straft und dann erkannt: Gott liebt mich, nimmt mich an, ich kann mir seine Liebe schenken lassen, aber nicht durch mein eigenes Tun erwerben. Ich habe immer gedacht, das wäre eine besondere Erkenntnis Luthers aus sich heraus. Ich habe dazugelernt, dass die Vorarbeit zu dieser Befreiung im Glauben sein katholischer Beichtvater Johann von Staupitz leistete. Er hat es wiederholt, bis bei Luther der Groschen fiel. Die Erkenntnis war also nicht etwas besonders Evangelisches, Luther hat es nur besonders betont und es ist zu etwas besonders Protestantischem geworden. Eigentlich hätte uns die Erkenntnis nie von anderen Gläubigen trennen müssen.

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