Ökumene im Klassenzimmer: Verschiedene Konfession - Gemeinsamer Religionsunterricht
Katholische und evangelische Kinder können ab dem Schuljahr 2018/19 einen gemeinsamen Religionsunterricht besuchen. An der Tucholsky-Schule in Krefeld hat sich das Modell bewährt.
Krefeld. Natürlich gibt es Gott — für Marianne besteht kein Zweifel daran. Erfan hat ein anderes Verständnis, „ich glaube nicht an Gott, aber an Jesus. Ich war Moslem, habe mich dann für das Christentum entschieden.“ Guiliano ist evangelisch getauft, „aber ich glaube an die Wissenschaft, nicht an Gott“. So unterschiedlich wie die Schüler ist auch ihr Glaube. Und das ist gut so, findet Jean-Maurice Kerner, evangelischer Religionslehrer an der Krefelder Kurt-Tucholsky-Gesamtschule (KTG).
„Uns liegt am Herzen, dass der interkonfessionelle Dialog gefördert wird.“ Im Unterricht des 32-Jährigen sitzen die Zehntklässler alle in einem Boot — egal, ob katholisch, evangelisch oder anders gläubig — so wie es das Sinnbild für die Ökumene beschreibt. Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht: So nennt sich das Modell, das an der Krefelder Gesamtschule mit mehr als 1200 Schülern verschiedener Nationen seit vielen Jahren gelebt wird.
Eine Praxis, die allerdings weder dem Grundgesetz noch der NRW-Landesverfassung oder dem Schulgesetz des Landes entspricht, von Kirchen und Schulaufsicht aber vielerorts in der Sekundarstufe I geduldet wird. Bis jetzt. Denn beide großen Landeskirchen haben dieser Unterrichtsform jetzt zugestimmt. Ab dem nächsten Schuljahr soll es damit einfacher werden, nicht nur evangelische und katholische Schüler, sondern auch solche anderer Religionen, gemeinsam zu unterrichten. Die Kirchen reagieren damit auf eine veränderte Schullandschaft, in der die Zahl der christlichen Kinder und Jugendlichen rückläufig ist. Längst nicht mehr jeder Schüler ist getauft, christliche Traditionen sind nicht selbstverständlich.
Für Religionslehrer Kerner ist der gemeinsame Unterricht auch aus anderen Gründen ein seit langem notwendiger Schritt: „Wir leben in einer Welt, in der es viele Grenzen und Abgrenzungen gibt. Wieso sollte man sie weiter bis in den Unterricht ziehen?“ Religionsunterricht, in dem stattdessen Schüler verschiedener Konfessionen und Religionen gemeinsam lernen, bietet auch verschiedene Perspektiven, glaubt Kerner. Er ist überzeugt: „So entsteht religiöse Identität.“ Das könne ebenso bedeuten, nicht an Gott zu glauben. „Wie soll ich mir darüber klar werden, wenn ich nur eine einseitige Sicht habe?“
Kerner selbst wurde katholisch getauft, hat nach dem Abitur aber neben Deutsch Evangelische Religion auf Lehramt in Wuppertal studiert, sich vor Beginn des Referendariats umtaufen lassen. „Im katholischen Reliunterricht gab es während meiner Schulzeit viel Bibelkunde, die Themen im evangelischen Unterricht hatten für mich einfach mehr Lebensweltbezug“, sagt er heute, betont aber auch: „Genau wie meine katholischen Kollegen bin ich nicht hier, um die Schüler zu missionieren. Es geht darum, verschiedene Wege und Perspektiven aufzuzeigen.“ Wer bin ich? Was ist der Sinn des Lebens? Das sind Fragen, über die Kerner mit seinen älteren Schülern im Unterricht diskutiert. Es geht aber auch um Themen wie Gewalt, wie sich die Kirchen zum Thema Sterbehilfe positionieren, oder die Kirche als Raum.