Demenz Was bleibt, ist am besten eine gute Zeit

Krefeld · Besuch Ein Fahrdienst der Alexianer bringt Demenzkranke zu ihren Terminen. Auf den Touren haben die Patienten untereinander immer viel Spaß. 

 Die Stimmung ist top: Mit dem Kleinbus geht’s für (v.l.) Helmut Gentner, Sigrid Borchardt und Rosi Buschen zum bunten Nachmittag ins Alexianer. Der Fahrdienst ist ehrenamtlich unterwegs.

Die Stimmung ist top: Mit dem Kleinbus geht’s für (v.l.) Helmut Gentner, Sigrid Borchardt und Rosi Buschen zum bunten Nachmittag ins Alexianer. Der Fahrdienst ist ehrenamtlich unterwegs.

Foto: Bischof, Andreas (abi)

Die Stimmung im Kleinbus ist ausgelassen. Die zwei alten Damen in der mittleren Sitzreihe tuscheln miteinander, der Herr mit den weißen Haaren neben den beiden stimmt ein Liedchen an. Vorne hat der Mann auf dem Beifahrersitz den Fahrer in ein Gespräch verwickelt. Von Fischeln geht’s in Richtung Duisburg, über die Stadtgrenze bis nach Hamborn und wieder zurück nach Krefeld. Die Zeit fliegt vorbei wie die Bäume am Straßenrand. Eigentlich spielt sie gar keine Rolle. Genauso wenig wie, welches Jahr ist, oder der Name des Sitznachbarn. Dass sie alle eine Gemeinsamkeit haben, die Demenz heißt, das wissen die Fahrgäste nicht. Sie haben es vergessen.

Yoga, Gedächtnistraining: Für Betroffene gibt es viele Angebote

„Es geht darum, eine gute Zeit zu haben, nicht um die Sach-, sondern nur noch um die Beziehungsebene – die bleibt neben den im Langzeitgedächtnis gespeicherten Erinnerungen am längsten erhalten“, sagt Katrin Krah. Die Sozialpädagogin koordiniert das ambulante Hilfesystem für Demenzpatienten am Krankenhaus Maria-Hilf der Alexianer Krefeld GmbH. Das Einzugsgebiet ist groß – es reicht von Krefeld über den Rhein bis in den Duisburger Norden in der einen Richtung, in der anderen geht’s bis nach Bovert.

Rund 500 Betroffene nehmen derzeit Angebote wie den bunten Nachmittag, Gedächtnistraining, Yoga oder Frühstückscafé in der Klinik für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie des Alexianer wahr. „Ziel ist es, dass niemand durchs Versorgungsnetz fällt“, betont Krah. „Soziale Kontakte sind unheimlich wichtig für Demenzkranke. Manche sprechen die ganze Woche mit niemandem – das muss man sich mal vorstellen“, sagt die Sozialpädagogin. „Wir nennen sie vergessene Menschen.“

Rosi Buschen vergisst zwar immer mehr, ein vergessener Mensch ist sie aber nicht. Ihr Mann winkt ihr zu, als sie im Kleinbus des Alexianer Fahrdienstes Platz genommen hat. Viele Demenzpatienten kommen über ihren Hausarzt mit dem Alexianer in Kontakt, erklärt Krah. „Wir arbeiten inzwischen mit 100 Allgemeinmedizinern in Krefeld, Duisburg und Moers zusammen. Wenn diese kognitive Einbußen bei ihren Patienten feststellen, melden sie sich bei uns.“

Ihr Alter sieht man Rosi Buschen genauso wenig an, wie ihre Krankheit. Für den bunten Nachmittag am Alexianer hat die 85-Jährige sich wie immer hübsch gemacht – der fliederfarbene Lidschatten passt perfekt zu ihrem Strickpullover. Mit Komplimenten kann die alte Dame umgehen. „Ich war früher für eine Modefirma tätig, da habe ich mir einiges von den Mannequins abgeguckt“, erzählt sie. Übers Alter redet man nicht, findet Rosi Buschens Sitznachbar Helmut Gentner. Dass er 1932 geboren ist, daran erinnert er sich. Aber wie alt er heute ist? „Woher soll ich das wissen?!“ Für den Duisburger dreht sich sowieso alles ums Singen: „Ich singe gerne, und wie! Ich singe alles, was kommt“, erzählt er. 80 Prozent der Patienten leiden unter Alzheimer, es sei die häufigste Form der Demenz, sagt Sozialpädagogin Katrin Krah. Die Krankheit beschreibt sie als „Zerfall der Nerven“. „Bis heute gibt es keine Medikation, die Ursache ist nicht bekannt.“ Was man aber inzwischen weiß: „Je mehr Aktivität die Patienten haben, desto besser wirkt sich das auf den Krankheitsverlauf aus.“

Untersuchungen zeigen: Bei Patienten, die körperlich aktiv sind und ihr Gedächtnis regelmäßig trainierten, habe man die vollstationäre Aufnahme um die Hälfte senken können, sagt Krah. Im Schnitt blieben den Patienten nach der Diagnose noch fünf bis sieben Jahre. „Irgendwann vergessen sie zu Essen und zu Trinken, weil sie auch keinen Appetit mehr verspüren. Das Immunsystem wird dadurch stark geschwächt.“

Eine sinnvolle und erfüllende Tätigkeit neben dem Job

Für Jürgen Schweikert steht nicht die schwere Erkrankung seiner Fahrgäste im Vordergrund. „Bei mir im Auto wird viel gelacht, es gibt freundliche Gespräche. Für die Menschen hier zählt der Moment, selbst wenn sie sich am Abend nicht mehr daran erinnern können“, ist Schweikert überzeugt. Seit mehr als zwei Jahren ist er ehrenamtlich für den Fahrdienst des Alexianer unterwegs. Damals habe er eine „sinnvolle Tätigkeit“ neben seinem Job gesucht. Fast 30 Jahre hat Schweikert in der Werbebranche gearbeitet. „Das ist eine Scheinwelt, die wenig mit dem wirklichen Leben zu tun hat“, sagt er. „Für mich ist das Ehrenamt eine Herzensangelegenheit, hier kann ich etwas für meine Seele tun.“

Auch für die Menschen in seinem Wagen sei ihre Erkrankung kein Thema, sagt der Krefelder. „Sie kennen den Namen der Leute, die mit ihnen im Wagen sitzen nicht, aber sie verbinden ein vertrautes Gefühl mit ihnen. Sie fühlen sich hier Zuhause.“ Zehn weitere Ehrenamtler sind neben Jürgen Schweikert aktuell für den Fahrdienst und 60 in der Betreuung am Alexianer tätig – zu wenig, sagt Katrin Krah. „Wir brauchen viel mehr, wir können gar nicht alle Anfragen, die uns erreichen, bedienen.“ Dabei werde das immer wichtiger: „Es gibt immer mehr Single-Haushalte, Angehörige wohnen oft weit weg. Für Betroffene ist das fatal. Bei Demenz ist es wichtig frühzeitig einzugreifen und das Hilfsangebot an die aktuellen Bedürfnisse der Erkrankten anzupassen“, sagt Krah. Andersherum sei es aber ebenso „wichtig für belastete Angehörige, auch mal Zeit für sich zu haben“.

Sigrid Borchardt wartet schon auf der Straße, als Jürgen Schweikert mit dem Kleinbus vor fährt, um sie abzuholen. Warum sie jede Woche mit fährt? „Das ist ganz reizend, ich finde das einfach schön. Wir singen zusammen und man trifft einfach nette Menschen.“

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