Missbrauchsskandal „Ich empfinde Wut und Scham“

Krefeld · Dionysius-Pfarrer und Regionalvikar Heiner Schmitz findet deutliche Worte zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Der 62-Jährige sucht darüber den Dialog mit der Gemeinde.

Pfarrer Heiner Schmitz findet deutliche Worte zu seiner Kirche. Foto: Andreas Bischof

Pfarrer Heiner Schmitz findet deutliche Worte zu seiner Kirche. Foto: Andreas Bischof

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Heiner Schmitz widmet sein Leben Gott und den Menschen. Schon immer. Vor einem Jahr ist der Priester nach Krefeld gekommen, um die Gemeinde Papst Johannes XXIII. zu leiten und dann - grad vor ein paar Tagen - die Aufgabe als Regionalvikar zu übernehmen. Eine Menge Verantwortung in schwierigen Zeiten. Der katholischen Kirche laufen die Mitglieder weg, in den Gottesdiensten gibt es viel Platz und jetzt erschüttert die Studie über den massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern die Nation. Im Bistum Aachen sind fünf Prozent der Kleriker Missbrauchstäter. Im WZ-Interview spricht Heiner Schmitz über den Mitglieder-Sinkflug, die Rolle der Kirche in der Gesellschaft, Verantwortung, Hoffnung, Wut und Scham.

Herr Schmitz, was empfinden Sie als Mann aus der Mitte der katholischen Kirche?

Schmitz: Wut und Scham. Was mit den Ergebnissen der Studie jetzt dokumentiert ist, geht mir absolut an die Substanz.

Hat die Kirche versagt?

Schmitz: Die Kirche als Institution und die Missbrauchstäter haben sich versündigt. Dass es diese Vorfälle gibt, war ja intern seit Jahrzehnten bekannt, das muss ich ganz klar sagen. Und die Art und Weise damit umzugehen zeugt davon, dass es der Kirche offensichtlich wichtiger war, eine weiße Weste zu bewahren als sich der Opfer anzunehmen. Die Opfer sind vielfach alleingelassen und, noch schlimmer, als unglaubwürdig dargestellt worden. Somit wurden sie ein zweites Mal zu Opfern. Wissen Sie, ich bin dieser Tage mal gefragt worden, ob man noch schamlos katholisch sein kann. Das ist eine interessante Frage.

Sie sind selbst schon lange in Funktion. Wie sind Sie über die Jahre mit Nachrichten von Missbrauch umgegangen?

Schmitz: Ich war die letzten 15 Jahre mit Personalarbeit in Aachen befasst. Als ich damit anfing, wurden in den USA grad die ersten Missbrauchsfälle aufgedeckt, die Riesen-Welle war losgetreten. Ich habe Vieles beobachtet, Opfer begleitet, zu helfen versucht.

Und die Täter?

Schmitz: Die meisten Fälle liegen Jahrzehnte zurück, viele Täter sind bereits verstorben oder längst nicht mehr Dienst. Es ist leider so, dass sie oftmals nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Längst ist das Rad umgeworfen, die Kirche ist um Transparenz und Prävention bemüht.

Wie genau will die Kirche Missbrauchsfälle verhindern?

Schmitz: Da gibt es nicht das eine Rezept. Die Kirche hat viel Arbeit in Leitlinien investiert, es ist zum Beispiel Pflicht eines jeden hauptberuflich Tätigen in der Kirche, ob in der Beratung, Betreuung oder eben Priester, ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen und dieses mindestens alle fünf Jahre erneuern zu lassen. Die Kirche regelt den gesamten Prozess nicht ausschließlich  intern mit eigenen Kräften. Es sind Experten an Bord, es gibt viele externe Schulungen.

Steht Ihrer Meinung nach das Zölibat in Frage?

Schmitz: Es gibt da zwei Dimensionen. Nach meiner Meinung ist das Zölibat nicht per se ursächlich, also ein Indikat, das sexuellen Missbrauch begünstigt. Aber sicher müssen wir die Frage stellen, ob diese Lebensform noch dem Auftrag eines Priesters 2018 entspricht. Wenn Sie mich direkt fragen: Ich würde das Zölibat nicht abschaffen, aber ich würde jedem Priester freistellen, ob er so leben möchte.

In der öffentlichen Diskussion werden die katholischen Priester ob des sexuellen Missbrauchs schnell in Sippenhaft genommen.

Schmitz: Das ist schön, dass Sie das ansprechen. Das ist tatsächlich ein Problem. Für mich weniger, ich bin 62 und noch überschaubar lange tätig. Aber ich frage mich, wie geht es jüngeren Leuten? Wir haben hier in Krefeld jetzt auch einen jungen Kaplan, den müsste man fragen. Ich stelle fest, dass es sicher eine Verhaltensunsicherheit gibt im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Nicht nur, aber natürlich auch in der Kirche. Es ist nicht zu entschuldigen, dass fünf von 100 Priestern sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben, aber es gibt auch die 95 anderen.

Was bedeutet das für die Kirche in Krefeld?

Schmitz: Diese Studie ist kein Abschluss, wir stehen doch erst am Anfang. Es ist vielleicht eher eine systemische Frage. Wie gehen wir vor, um die Ursachen auszumachen, was hat den Missbrauch begünstigt? Spielt das Zölibat eine Rolle, gibt es Zusammenhänge zwischen dem hohen Anteil an Homosexuellen, die Priester geworden sind?

Werden Sie im nächsten Gottesdienst auf den Skandal eingehen?

Schmitz: Um ehrlich zu sein: Ich weiß´es noch nicht. Unser Kaplan hat das bereits im letzten Gottesdienst getan. Eine Predigt ist ja in erster Linie eine Sendung. Was wir jetzt vordringlicher brauchen, ist der Dialog. Wir müssen Foren dafür schaffen, werden zu Diskussionsabenden einladen, wenn das gewünscht und angenommen wird.

Möchte die Gemeinde darüber diskutieren?

Schmitz: Interessanterweise bin ich zuletzt so gut wie gar nicht darauf angesprochen worden. Das ist ein Phänomen, das ich bislang nicht ergründen kann. Vielleicht stehen viele Gemeindemitglieder unter Schock oder es ist die Betroffenheit. Aber darum gehe ich auf die Menschen zu und spreche sie aktiv darauf an.

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