Loveparade: Drei junge Krefelder entkamen der Falle

Julia Hecheltjen (20), Julia Kersten (21) und Marc Buchholz (20) berichten, wie es ihnen am Samstag in Duisburg erging.

Krefeld/Duisburg. Hilflose Polizisten, versperrte Wege, das Gefühl von Todesangst: Pia Hecheltjen (20) und Julia Kersten (21) schildern, wie sie der Katastrophe bei der Loveparade entkommen sind.

"Um 15.45 Uhr beschlossen wir, Pia Hecheltjen (20), Julia Kersten (21) und Marc Buchholz (20), den Heimweg nach Krefeld anzutreten. Es dauerte bestimmt eine halbe Stunde, bis wir uns von den Essenständen durch die Menschenmassen in Richtung Ausgang quetschen mussten. Man konnte dort schon sehen, dass es Stunden dauern würde, bis wir durch den Tunnel zum Hauptbahnhof gelangen werden. Die Menschen standen bis zu den Toiletten, um zum Ausgang zu kommen. Schon nach einigen Minuten in der Masse bekam Julia Panik, keine Luft und Kreislaufprobleme.

Daraufhin bahnten wir uns wieder zurück durch die Menschenmasse und gingen zu den Security um nach einem anderen Ausweg für dieses Gefängnis zu fragen. Dieser sagte uns, dass dies der einzige Ausgang sei und der Veranstalter kein okay gibt die Notausgänge zu öffnen und das wir nur eine Chance hätten, eventuell durch die Sanitäter hinaus zu kommen. Daraufhin gingen wir zu einem der Malteser-Zelte und schilderten unsere Situation. Dieser informierte sich darüber, ob es noch weitere Ausgänge gibt. Leider ohne Erfolg. Wir fragten, ob wir erst umkippen oder uns etwasanderes passieren muss, damit wir anders aus dem Gelände kommen. Daraufhin zuckte der Sanitäter nur mit den Schultern und schickte uns zur Polizei.

Wir sahen keinen anderen Ausweg und gingen wieder Richtung Tunnel, gegen 16.30Uhr. Schon nach wenigen Sekunden hatten sich hinter uns wieder hunderte Menschen gebildet, die das Gelände auch verlassen wollten. Mit großem Schrecken beobachteten wir, wie die Leute voller Panik Stahlmasten herauf kletterten. Auf der anderen Seite zogen Polizisten und Besucher die Menschen aus der Masse das Geländer der Treppe hoch. Auch neben der Treppe versuchten die Menschen große Werbeplakate herauf zu klettern, um aus den riesen Massen, die sich weder nach vorn oder hinten bewegten, sondern einfach nur auf einem Fleck standen, zu fliehen.

Wir bahnten uns einen Weg, durch eingetretene aufgebrochene Zäune, hinter denen Polizeiwagen und zwei Polizisten standen. Wir fragten den Polizisten erneut, wie wir hier raus kommen sollen. Die erstaunliche Antwort, die wir nun hörten: "Tut euch am besten mit mehreren Leuten zusammen und tretet die Zäune um das Gelände ein, anders kann ich euch nicht helfen."

Wir waren total fassunglos und entsetzt, so etwas von einem Polizisten zu hören. Daran konnte man sehen, wie aussichtslos die Situation war und wie ratlos die Polizei waren. Sie hatten einfach keine Lösung dafür, wie sie das Problem in den Griff bekommen sollen. Daraufhin antworteten wir, dass es nicht sein kann, dass man wie ineinem Gefängnis hier mit Millionen Menschen auf einem Gelände eingesperrt wird und es nur einen Ausgang gibt, der gleichzeitig der einzige Eingang ist. Der Polizist antwortet darauf: "Wartet ein paar Minuten, bis etwas passiert ist, dann werden die Veranstalter hoffentlich endlich erlauben, dass wir die Notausgänge öffnen."

Hinter den Absperrungen gab es eine Böschung die hoch auf das Gelände führte. Wir entschieden uns dafür, diese zu benutzen, da die Treppen und Masten uns zu gefährlich waren. Man konnte hervor sehen, dass es nicht lange dauern würde, bis der Erste abrutscht und herunter fällt.Wir kletterten erst einmal die Böschung hoch und setzten uns oben an das Geländer um durchzuatmen. Von oben machten wir Fotos, um das festzuhalten, was wir gerade erlebt hatten.

Dann kam ein Polizist auf uns zu und sagte, dass wir weitergehen sollen und den Weg freimachen sollen, damit die Menschen, die die Böschung hoch klettern, durchkommen. Wir sagten ihm, dass es Julia nicht gut geht und fragten ihn nun auch, wie wir hier raus kommen. Er sagte: "Geht erstmal zum Gelände in Richtung der zweiten Bühne. Auf der rechten Seite sind Malteser-Zelte, daneben ein Notausgang und versucht euer Glück dort."

Wir schauten noch einmal in die Massen nach unten und konnten sehen, dass die Polizei sich auf den Weg Richtung Ausgang platzierte und nur noch ein kleine Weg freigelassen wurde, durch den die Menschen Richtung Ausgang gehen konnten. Wir sahen einen Polizeiwagen an den Tunneln durch die Menschenmasse fahren. Wir beobachteten Leute, die auf den Polizeiwagen kletterten. Man konnte erkennen, dass der Stau am Ausgang daran lag, dass tausende Menschen gleichzeitig rein und raus
wollten und nicht wie auf der Pressekonferenz gesagt wurde, dieses Unglück passiert ist, weil zu viele Menschen gleichzeitig nur rein wollten.

Wir gingen also nun weiter zu dem Notausgang. Dort hatten sich schon einige Menschen panisch versammelt, die aus dem Gelände heraus wollten. Die Menschen fingen an zu randalieren und zu schreien. Einige weinten sogar. Sie diskutieren mit den Polizisten und schilderten die Lage im und vor dem Tunnel. Die Polizei jedoch zeigte eher keine Reaktion, zuckten nur mit den Schultern und verwiesen wieder auf die Hartnäckigkeit des Veranstalters, der die Notausgänge nicht freigibt.

Hinter den Zäunen, auf der Seite der Polizei stand eine ausländische Frau, die, obwohl sie schon in "Freiheit" war versuchte, uns hinter dem Zaun zu helfen heraus zu kommen, in dem sie schrie, dass es nicht wahr sein kann, dass wir nicht raus dürfen und die Notausgänge immer noch nicht aufgemacht werden, obwohl hier hunderteMenschen stehen und einfach nur raus möchten. Ein Polizist rannte auf dieFrau zu und schubste die Frau sehr unsanft weg und ermahnte sie, sofort hierwegzugehen. Man konnte die Verzweiflung in allen Gesichtern sehen.

Plötzlich wandten sich viele Personen dem Zaun ab und liefen zum nächsten Notausgang, Wir konnten sehen, dass dort wenige Menschen heraus gingen. Sofort nahmen wir uns an den Händen und rannten durch die Massen vor der Bühne in Richtung Notausgang. Dieser Notausgang war einen kleinen Spalt auf. Die Menschen, die aus dem Notausgang fliehen wollten, drängten sich alle zusammen gegen den Zaun,so dass wir alle endlich dort heraus kamen.

Wir liefen entlang der Autobahn auf einem Schotterweg, dieser war zugleich die Einfahrt für die Künstler, die uns entgegen kamen. Am Ende des Feldweges gabes einen steilen Aufgang, auf die Straße. Gemeinsam versuchten die Menschensich gegenseitig dort hochzuziehen. Nach einiger Zeit kamen auch Feuerwehrund THW zur Hilfe.

Hätten wir vorher gewusst, wie dieses Fest ablaufen wird, wären wir niemalsdort hingefahren. Es war schon gegen 16 Uhr absehbar, dass es zu einerKatastrophe führen wird. Denn: Tausende Menschen wollten zur gleichen ZeitRAUS UND REIN. Bei EINEM Ein- und Ausgang bleibt es nicht aus, dass sichNICHTS MEHR BEWEGT, keiner mehr weiterkommt. Es war klar, dass sich 1,5 Mio. Menschen nicht einsperren lassen, erst Recht unter Einfluss von Alkohol undDrogen.

Die Polizei hätte schon gegen 16 Uhr oder früher, den Tunnel für die Menschen, die jetzt erst zur Loveparade kommen, öffnen sollen und für die Menschen, die die Loveparade verlassen möchte, die Notausgänge aufmachen müssen. Aber wie wir ja von einigen Sanitätern und Polizisten, sowie Security-Personal hören mussten, gab es kein Okay von den Veranstaltern.

Also musste man wieder feststellen, dass erst Menschen sterben müssen, bis etwas passiert. Es ist einfach nicht zu fassen, was dort am Samstag geschehen ist und welche Aussagen wir zu hören bekommen haben."

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