Italiens einziger Kunstradfahrer

Marco Giorgio (21) musste lange dafür kämpfen, dass seine Sportart in seinem Heimatland anerkannt wird.

Krefeld. Wenn Marco Giorgio auf seinem Fahrrad sitzt, spielen für ihn Begriffe wie Windschatten, Zeitfahren und Schlusssprint keine Rolle. Der junge Krefelder mit italienischen Wurzeln ist Kunstradfahrer. In seiner Sportart geht es um Körperbeherrschung, Kraft und Akrobatik, nicht um Schnelligkeit wie bei den Straßenradfahrern. Sein Vater Michele hatte die Randsportart bei Bekannten kenengelernt und anschließend das Virus auf seine Kinder übertragen. Seit 16 Jahren kämpft auch Marco, der jüngste Spross des Giorgio-Clans, um Punkte und Platzierungen auf nationalen und internationalen Wettbewerben, aber auch um die Anerkennung einer Sportart, die vor allem in seinem Heimatland Italien ein Schattendasein fristet.

Giorgio ist voll konzentriert. Jede Faser seines Körpers ist angespannt, wenn er auf nur einem Rad fährt und dabei die Arme abspreizt. Was für Laien schon ohne Rad schier unmöglich wäre, absolviert er mit einem Lächeln. Der angehende Personal-Trainer zeigt Handstände, wilde Drehungen auf dem Hinterrad und Balance-Übungen auf nur einem Pedal.

Mindestens viermal in der Woche trainiert der 21-Jährige in der Turnhalle des Berufskollegs Vera Beckers, feilt an seiner Kür und perfektioniert seinen Ausdruck. Bei nationalen Events trägt er die Farben des Krefelder Radfahrer-Vereins 1900, auf internationaler Ebene fährt er für Italien — als einziger. „In Italien gibt es das Kunstradfahren als anerkannte Sportart nicht“, erklärt Giorgio nach dem Training sichtlich außer Atem. „Mein Vater hat lange mit dem Verband gekämpft, damit ich überhaupt für unser Heimatland fahren darf.“ Nun bekommt er zumindest ein National-Trikot gesponsort, das er mit Stolz trägt.

Dass er als einziger für Italien an den Start geht, hat einige Vorteile. Er ist automatisch für die Weltmeisterschaften qualifiziert. Hierzulande hätte er es deutlich schwieriger, müsste sich durch die Qualifikation arbeiten. Deutschland gilt als Kunstrad-Großmacht. Mindestens 30 sehr gute Fahrer kämpfen alljährlich auf den Deutschen Meisterschaften um die zwei heißbegehrten WM-Tickets.

Bei der Weltmeisterschaft in Aschaffenburg Anfang November hat Giorgio mit dem zehnten Platz den bisher größten Erfolg seiner Karriere erzielt. Jede der 30 Übungen, die innerhalb von fünf Minuten absolviert werden müssen, habe nahezu perfekt funktioniert, sagt er. Einzig der geringere Schwierigkeitsgrad seiner Kür trennte ihn von den vorderen Plätzen, die wieder einmal mit riesigem Abstand von zwei Deutschen belegt wurden.

Doch davon lässt sich Giorgio nicht entmutigen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass mir mit meinem neuen Trainer Ralf Schairer ein großer Leistungssprung gelingen wird“, sagt Giorgio. Anerkennung für seine Leistung erfährt er indes mittlerweile von den italienischen Medien. Im Mai wurde er gar zum italienischen Ableger der TV-Sendung „Das Super-Talent“ nach Mailand eingeladen. Dort gelang im prompt der Einzug in die zweite Runde, die voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres ausgestrahlt wird. Geld hat ihm sein Sport bisher nicht gebracht. Im Gegenteil. Sein Vater versucht nach Kräften, das zeitintensive Hobby seines Sohnes zu finanzieren. „Manchmal muss ich aber auch Nein sagen. Eine WM in Japan ist für mich einfach nicht zu stemmen“, sagt Michele Giorgio mit in Falten gelegter Stirn.

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