Funkels Erinnerungen an das "Wunder von der Grotenburg"

Krefeld/Mainz. Ja, für ihn sei es das größte Spiel seines Lebens gewesen. Wolfgang Funkel, ehemaliger Spieler von Bayer Uerdingen, erinnert sich an das „Wunder von der Grotenburg“ von vor 25 Jahren.

Er und sein Bruder Friedhelm waren an die Stätte jenes 7:3 gegen Dynamo Dresden gekommen, um für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) die bewegten 90 Minuten noch einmal Revue passieren zu lassen. Die rund sechsminütige Reportage zeigt das ZDF am kommenden Sonntag, 20. März, in der Sendung Sportreportage. Sendetermin ist wahrscheinlich 17.10 Uhr.

Mit 0:2 hatten die Uerdinger das Hinspiel in Dresden verloren, am 19. März 1986 steht es nach 45 Minuten 1:3 aus Sicht des FC Bayer. „An ein Weiterkommen dachte keiner. Unser Trainer Kalli Feldkamp hat in der Pause nur noch an unsere Ehre appelliert, uns daran erinnert, dass Millionen Menschen an den Bildschirmen das Spiel verfolgen“, sagt Friedhelm Funkel in die ZDF-Kamera.

Wie viel bei jedem einzelnen Spieler von der Ansprache ankommt, ist unklar — fast jeder senkt den Kopf gen Boden ob der Schmach gegen den ostdeutschen Konkurrenten. Der muss nach einem fairen Zweikampf zwischen Wolfgang Funkel und Torhüter Bernd Jakubowski zwar den Keeper in der Pause wechseln, doch keiner glaubt in diesen Minuten an ein Weiterkommen der Uerdinger. Fünf Tore bräuchten die Blau-Roten wegen der Auswärtstorregel.

Beim ZDF hagelt es in diesen Minuten wütende Zuschauer-Anrufe, da sich der Sender gegen eine zeitgleiche Übertragung eines Spiels des FC Bayern München und für das deutsch-deutsche Duell entschieden hatte. Eine Fehlentscheidung? Wohl kaum.
Denn nach der Pause reiben sich die Fernseh-Zuschauer verwundert die Augen, plötzlich spielt nur noch ein Team. „Wir haben gemerkt, wie nervös der Ersatzkeeper der Dresdener war. Und auch die Abwehr wirkte nicht mehr so sattelfest“, schildert Friedhelm Funkel.

Zum 2:3-Anschlusstreffer durch seinen Bruder per Strafstoß dauert es dennoch bis zur 58. Minute, fünf Minuten später unterläuft Ralf Minge ein Eigentor und wieder zwei Minuten später erzielt Wolfgang Schäfer das 4:3. „Ab da haben wir geglaubt, dass vielleicht doch noch etwas geht“, sagt Wolfgang Funkel. Immer wieder schlagen die Uerdinger jetzt die Bälle hoch in den Dresdner 16-Meterrraum, in dem nun das blanke Chaos herrscht.

Viele der rund 22 000 Zuschauer, die nach der enttäuschenden ersten Hälfte die Grotenburg verlassen hatten, strömen nun — aufgeweckt durch Fernsehbilder und der Radioreportage — wieder zurück ins Stadion. Und erleben das „Wunder von der Grotenburg“. Dietmar Klinger erzielt in der 78. Minute das 5:3, dann muss Wolfgang Funkel wieder zu einem Elfmeter anlaufen. „Klar war da ein wenig Druck. Aber ich war ein sicherer Schütze, so dass ich mir keine Sorgen machte.“ Und tatsächlich: Funkel vollstreckt elf Zeigerumdrehungen vor Schluss zum 6:3. Mit diesem Ergebnis wäre Uerdingen eine Runde weiter gewesen.

Doch da wacht Dresden wieder auf. Zweimal wird Uerdingens Schlussmann Werner Vollack zu Glanzparaden gezwungen. „Das war enorm wichtig. Wer weiß, was bei einem vierten Dresdner Tor passiert wäre“, sind sich die Funkel-Brüder nicht sicher. Doch das Dynamo-Aufbäumen erweist sich als Strohfeuer und erlischt so schnell wie es gekommen war — auch weil Bayer nicht auf „Verwalten“ spielt. Wieder Schäfer trifft in der 86. Minute zum 7:3, das Wunder ist vollbracht, der Jubel grenzenlos.

Erst Tage und Wochen später realisieren die Uerdinger Spieler, dass es bei diesem Spiel um mehr als Fußball gegangen war. Frank Lippmann, Torschütze des zwischenzeitlichen 2:1, hatte sich durch die Tiefgarage des Mannschaftshotels, dem Hansa-Hotel, gen Nürnberg abgesetzt. So ist nicht nur das Ergebnis ein bitterer Schlag für den kommunistischen Osten.

Trainer Klaus Sammer, Vater des heutigen DFB-Sportdirektors Matthias Sammer, wird die Schuld an der Flucht gegeben und er wird — offiziell aus sportlichen Gründen — von seinem Posten abgesetzt. Die Spieler wiederum müssen nicht nur Straftrainings absolvieren, auch Vergünstigungen wie Reisen ins benachbarte Ausland werden gestrichen.

Für Uerdingen bedeutet das Erreichen des Halbfinales gegen Atletico Madrid (0:1, 2:3) den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Am Ende der Saison wird Bayer Dritter, nie platziert sich eine Krefelder Mannschaft höher als in diesem Jahr. Die Fußballfachzeitschrift „11 Freunde“ erkor das Spiel Uerdingen gegen Dresden zum „größten Fußballspiel aller Zeiten“.

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