Der Turner auf dem Rad

Marco Giorgio ist Botschafter in eigenwilliger Mission und startet ab morgen bei der WM für Italien.

Der Turner auf dem Rad
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Marco Giorgio ist ganz auf sich konzentriert. Er setzt sich mit seinem Fahrrad in Bewegung, steigt auf das Lenkrad, spreizt seine Arme. Er fährt so im Kreis, springt dann in die Pedale, reißt das Vorderrad hoch und dreht Pirouetten. Wenig später hüpft er auf dem Hinterrad.

Es ist so etwas wie eine Generalprobe in der Halle Girmesgath. Etwa fünf Minuten dauert die Vorführung, so lange wie der Wettkampf. Dann steigt der 23-Jährige von seinem Kunstrad, holt tief Luft. Das Ganze kritisch beäugt von seinem Vater und Förderer Michele. Der Krefelder trainiert für die Hallenrad-WM im tschechischen Brünn. Heute fliegt er dorthin. Es ist seine neunte Teilnahme. Für Italien.

Um sportliche Ehren geht es dem Mann, der seit 18 auf dem Rad turnt, aber nicht nur. „Ich will mein Land Italien repräsentieren und mit viel Stolz diesen Sport in Italien bekannt machen“, sagt Marco Giorgio. Das hat sich der angehende Sport- und Fitnesskaufmann auf die Fahne geschrieben. Denn als Kunstradfahrer ist Giorgio auf dem Apennin immer noch ein Exot. Erst eine Hand voll Aktive haben Italien bei internationalen Wettkämpfen vertreten — allesamt aus dem Ausland wie er. Einen Fachverband für Kunstradfahrer gibt es nicht. Vater Michele kämpft seit 1998 für eine Anerkennung des Sports gegen das Desinteresse der Funktionäre. Auf eine Förderung musste der Krefelder lange warten. Vater Michele sponserte alles aus eigener Tasche. Erst seit zwei Jahren wird Marco aus Italien bekleidet. Früher trug Giorgio bei einer WM sogar das blaue Trikot der Fußball-Azzurri. Er wirkte ein wenig wie ein Jamaikaner im Eiskanal. „Heute bekomme ich immerhin die Reise- und Hotelkosten bezahlt“, sagt Marco.

Im italienischen Fernsehen hatte der 23-Jährige vor einigen Monaten einen Auftritt in der Show „Supertalent“. Zum Einzug ins Finale fehlte ihm ein Prozent der Anrufe. Auf dem Flughafen von Rom gab es Trost, klopften ihm fremde Menschen auf die Schulter, erzählt Vater Michele. Geholfen hat es dem Bekanntheitsgrad. Nun soll Marco als Aufbauhelfer dienen. „Geplant ist, dass ich in einigen Schulen Norditaliens den Kunstradsport bewerbe. In den nächsten Jahren soll sogar eine Fachabteilung eingeführt werden und eine Nachwuchsförderung entstehen“, sagt Giorgio. Wann das sein wird, weiß niemand.

Doch Geduld ist vorhanden in der Familie, wo Kunstradsport Tradition hat. Auch die Geschwister Patricio und Jessica sind mit Leidenschaft dabei. In diesem Jahr wird Marco aber einziger Kunstrad-Teilnehmer seines Landes sein. Qualifizieren muss sich Giorgio aufgrund der fehlenden nationalen Konkurrenz nicht. „Mein Ziel ist es, unter die besten Zehn zu kommen. Aber ich spüre keine Anspannung“, sagt der 23-Jährige.

Als Begleitmusik seiner Kür hat sich Marco die Ramazzotti-Ballade „L’orizzonte“ ausgesucht. Wenn man will, so könnte man das übertragen auf den italienischen Radsportverband FCI, der seinen Horizont vielleicht noch um die Fachrichtung Kunstrad erweitern sollte.

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