Letzter Ausweg: Mit dem Pädagogen in die Einöde

In Fällen wie dem des zwölfjährigen Straßenbahn-Treters stellt die Stadt ein ganzes Paket an Hilfen bereit.

Krefeld. Wenn nichts mehr geht, dann bleibt nur noch eins: ab aufs Land. „Projektstellen“ nennt das Jugendamt das Sonderprogramm für Jugendliche, die zu normalen sozialen Kontakten nicht mehr in der Lage sind. Sie sind ihren Eltern schon vor langer Zeit entglitten, aber erst wenn die vielen Erziehungsmaßnahmen der Behörden nicht gefruchtet haben, landen sie allein mit einem Pädagogen in der Einöde. Zehn dieser Maßnahmen gibt es aktuell für Kinder und Jugendliche aus Krefeld, sagt Hans Grebner, Abteilungsleiter Familien beim Jugendamt.

„Reizarm“ soll die Gegend sein, so bezeichnet es Jugendamtsleiter Gerhard Ackermann und meint sibirische Verhältnisse. In Deutschland sind es das Emsland oder Brandenburg — weit weg von Krefeld und generell von Großstädten. Es ist die letzte Hoffnung, den Jugendlichen den Weg in ein einigermaßen normales Leben zu weisen.

Bis es soweit kommt, muss schon viel passiert sein. Denn: Wenn ein Jugendlicher auffällig wird, dann schickt das Jugendamt zunächst Hilfe in den Haushalt, um die Eltern bei der Erziehung zu unterstützen. Bei gut 900 Kinder und Jugendlichen ist das aktuell der Fall. Bei weiteren 427 reicht das nicht — das Familiengericht ordnete eine anderweitige Unterbringung an. „In einfachen Fällen ist das eine Pflegefamilie. Das Problem ist: Es gibt immer weniger Familien und deshalb auch immer weniger Pflegefamilien“, sagt Ackermann. Das Kinderheim ist dann die Alternative.

Mit Sitzenbleiben und Schulschwänzen fängt es meist an, wenn Kinder absehbar ein Fall für das Jugendamt werden. Keine geordneten Verhältnisse, keine Grenzen, immenser Medienkonsum, Gewaltspiele am Computer, dazu noch Hartz IV — je mehr solcher Umstände, desto größer das Risiko, dass die Jugendlichen professionelle Hilfe brauchen. Statt vernünftiger Freizeitgestaltung erleben sie zu Hause ein Extrem nach dem anderen.

Und die Zahl solcher Kinder wächst, so Ackermann. Gewalt insbesondere gegen Gleichaltrige wird zum Alltag — dabei nimmt das Ausmaß der Brutalität immer mehr zu, sagt Norbert Axnick, der die Jugendgerichtshilfe leitet. Er betreut mit seinen Mitarbeitern zurzeit 27 Mehrfach- und sieben Intensivtäter. „Vier bis fünf von ihnen sind strafunmündig“, ergänzt Ackermann. Und trotzdem sind sie ein Fall für die Jugendgerichtshilfe, betont Axnick: Nur wenn Anzeige erstattet werde, erhalte das Jugendamt durch die Polizei Kenntnis. „Es wird auf jeden Fall ermittelt, auch wenn der Täter noch strafunmündig ist.“ Die Staatsanwaltschaft stelle das Verfahren dann zwar ein — aber das Jugendamt könne gezielt helfen.

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