Krefeld Lehrer fehlen: Schulen in Not

57 Stellen sind unbesetzt — am härtesten trifft es die Grundschulen. GEW wirbt für mehr Geld, Unterstützung und Flexibilität im Job.

Krefeld: Lehrer fehlen: Schulen in Not
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Wenn nach der Zeugnisvergabe Anfang Februar das zweite Schulhalbjahr startet, dann müssen gerade Krefelds Grundschulen wieder mit ihren Stundenplänen jonglieren: 24 Lehrerstellen sind hier nach Angaben der Bezirksregierung aktuell nicht besetzt; hinzu kommen fünf unbesetzte Stellen für Vertretungsreserven, die es nur im Bereich der Grundschulen gibt. „Die Einstellungsverfahren zum 1. Februar laufen auf Hochtouren“, erklärt eine Sprecherin der Bezirksregierung. Dabei hat sich die Situation in Krefeld in den vergangenen Monaten bereits verbessert: Noch Mitte Oktober 2017 fehlten hier 40 Lehrer an den Grundschulen.

„Die aktuelle Problematik ist uns bekannt und beruht unserer Auffassung nach im Wesentlichen darauf, dass das Studium für Lehramt Primarstufe auf Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt worden ist. Die angehenden Grundschullehrkräfte benötigen jetzt mindestens zehn statt wie zuvor sechs Semester. Daraus ergibt sich ein Leerlauf von ungefähr zwei Jahren, so dass es im Moment an Absolventen mangelt“, so die Erklärung der Bezirksregierung.

Marita Koblenz-Lüschow vom Schulamt sieht neben der längeren Ausbildungszeit weitere Gründe für die personell angespannte Situation an Krefelds Grundschulen: „Viele Hochschulen haben den Numerus clausus zuletzt stark angehoben.“ Durchschnittsnoten zwischen 1,3 und 1,7 auf dem Abizeugnis seien nicht selten Zulassungsvoraussetzung für angehende Lehrer. „Lehramt zu studieren war lange Zeit nicht wirklich attraktiv“, sagt Koblenz-Lüschow. Dramatisch sei die Situation an Krefelds Grundschulen trotzdem nicht, wie die Schulrätin betont: „In Duisburg sind derzeit mehr als 200 Stellen nicht besetzt“, sagt sie mit Blick über die Stadtgrenze, „in Krefeld kriegen wir das jongliert.“ Nicht zuletzt, weil sowohl die alte als auch die neue Landesregierung den Stellenpool deutlich hochgeschraubt habe: „Wir haben so viele Stellen wie nie zuvor.“

Aber: Auch so wenig Lehramtsanwärter wie heute gab es selten. Das Verhältnis zwischen Bewerbern und Stellen habe sich komplett gedreht: „Früher hatten wir manchmal 85 Bewerber auf eine Stelle“, sagt Koblenz-Lüschow. Heute liefen ausgeschriebene Stellen regelmäßig leer. „Junge Menschen haben oft andere Zielsetzungen nach dem Abitur, als Lehrer zu werden.“ Dass bei dieser Entscheidung auch die Bezahlung eine Rolle spielen könnte, hält die Schulrätin zumindest für denkbar. Grundschullehrer verdienen weniger als Lehrer an weiterführenden Schulen, „das ist eine Tatsache, aber da arbeitet unsere Landesregierung derzeit dran“, sagt Koblenz-Lüschow. Die Bezahlung von Grundschulleitern etwa sei bereits finanziell angehoben worden.

Für Philipp Einfalt, Krefelder Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ist die „ungleiche Bezahlung“ nur ein Grund dafür, dass „der Fachkräftemangel aus meiner Sicht mehr als dramatisch“, der Job des Grundschullehrers „für viele unattraktiv ist“. Der Gewerkschafter glaubt: Viel „tragischer“ als der finanzielle Aspekt sei die Welle an Verpflichtungen, die über Lehrer neben ihrer originären Aufgabe — dem Unterrichten — hereinbreche. Schüler aus geflüchteten Familien, Inklusion, Gutachten schreiben — „das alles müssen Grundschullehrer meist ohne Unterstützung stemmen“, moniert Einfalt, Leitlinien und Schulungen fehlten. Das sei eine „wahnsinnige Belastung“, trotzdem machten viele Lehrer ihren Job bis zur Selbstaufgabe. Das mache auf Dauer krank.

Für Langzeiterkrankte und Elternzeit kommen Vertretungslehrer an die Schulen. „Die arbeiten sich ein, und wenn es so weit ist, dann müssen sie wieder weg“, skizziert Einfalt die Situation, „der Lehrermangel ist also tatsächlich noch größer als gedacht.“ Seine Prognose für die Besetzung der 24 derzeit offenen Stellen: „mehr als schlecht“. Deshalb fordert der Gewerkschafter eine Werbeoffensive für den Lehrerberuf — und hier sei die Landesregierung in der Pflicht. „Lehrkräfte brauchen mehr Unterstützung in dem, was sie tun, sie brauchen feste Fortbildungsangebote innerhalb der Dienstzeiten, bessere Bezahlung und Aufstiegschancen und auch mehr Flexibilität — Versetzungen auf Wunsch müssen einfacher werden, in der Praxis wartet man darauf oft Jahre“, zählt Einfalt die Pfeiler einer solchen Kampagne auf. Und dann gehe es auch um Respekt und Wertschätzung — „die sind oftmals mangelhaft“.

Eine Chance, vor allem kurzfristig auf den Lehrermangel zu reagieren, sieht Einfalt auch in den so genannten Seiteneinsteigern. Wer die Fächer Kunst, Musik, Sport oder Englisch studiert, hat dieser Tage bessere Chancen denn je, auch ohne Lehramtsstudium Lehrer zu werden. „Grundsätzlich eine gute Idee“, findet Einfalt, „man muss es aber vernünftig machen.“ Derzeit würden Seiteneinsteiger vor allem als „kostengünstige Lückenfüller“ benutzt, Lehrer zweiter Klasse, die nicht nur weniger verdienen als ihre Kollegen. „Eine Festanstellung bekommen sie nicht und somit auch kaum Perspektive, dauerhaft in den Lehrerberuf zu wechseln“, ärgert sich der Gewerkschafter.

Er fordert eine berufsbegleitende Qualifizierung für Seiteneinsteiger und den Beruf zudem für weitere Branchen zu öffnen — auch ohne ein Studium zwingend vorauszusetzen: „Eine Grundqualifizierung für den Job muss schon da sein, aber den haben eine Therapeutin oder ein Erzieher auch — warum sollten die nicht die Chance für einen Berufsumstieg bekommen?“

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