Zwischen Wahn und Wirklichkeit

„Du musst Caligari werden“: Ein Stück des Kresch-Theaters feiert in der Fabrik Heeder eine überzeugende Premiere.

Zwischen Wahn und Wirklichkeit
Foto: Kresch-Theater

Großstadtgetriebe, schräge Bilder, gute Musik und Gedichte: In der Fabrik Heeder hatte das Stück des Kresch-Theaters „Du musst Caligari werden“ seine Premiere. Franz Mestre und Heiko Obermöller haben diesen lyrischen Abend erdacht und präsentiert. Die Beiden tragen die Kleidung der „Götter in Weiß“: gestärkte Kittel und Hosen; nur die Schuhe unterscheiden sich. Der eine Dr. Caligari — so steht es auf dem Kittel — trägt weiße Schuhe, der andere schwarze. Und das schreibt ihnen die Bewegung auf dem Boden vor. Sie treten nur auf die passenden Fliesen. Doch sind diese nicht gleichmäßig angeordnet, sondern perspektivisch gebrochen — ein Zitat aus dem Film „Das Cabinett des Dr. Caligari“.

In diese Zeit ist Mestre zurückgegangen: Die Optik ist expressionistisch, die Lyrik auch, die Zutaten allerdings aus dem 21. Jahrhundert. Die beiden Schauspieler Mestre und Obermüller, die vor 30 Jahren das Kresch mit aus der Taufe hoben, treten vor einer Rückwand auf, die die Bühne diagonal halbiert. Der Boden davor scheint in seiner Verzerrung auf einen dahinter liegenden Mittelpunkt zuzulaufen. Die Diagonale ist gleichzeitig Folie für Videos und Fotos. Viele von ihnen stammen aus „Das Cabinett des Dr. Caligari“ mit seiner expressionistischen Architektur.

Davor agieren Franz Mestre und Heiko Obermöller. Ihre beiden Doktores gehen mal aufeinander zu oder laufen voreinander weg, sie spielen miteinander und gegeneinander. Wahn und Wirklichkeit vermischen sich, Kunst und Leben spielen ein sowohl groteskes wie heiteres Spiel. Exzentrisches Detail in dieser Klinik: Beide haben einen Desinfektionsapparat, an dem sie immer wieder ihre Hände benetzen, manchmal auch gegenseitig. Dazwischen tragen sie zu schwungvoller Musik Gedichte und Wortspiele vor. Da kommt „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut“ von Jakob von Hoddis vor, 1911; das Weltende von Else Lasker-Schüler (1905) wird dagegengesetzt. Die Dadaisten aus der Kriegszeit werden zitiert und Franz Werfel mit „Fremde sind wir auf der Erde alle“ von 1915.

Worte und Klänge, Videos und Stummfilm gehen eine gelungene und kurzweilige Verbindung ein. Michael C. Kent hat die kritischen Gedichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts und auch die neuen Texte mit Pop unterlegt, so verlieren manche von ihrem Schrecken. Der dann allerdings durch die Videos (Ludwig Kuckartz) wieder näher rückt. Auch Kunst wir hier zitiert: Edvard Munchs „Der Schrei“ oder surrealistische Gemälde oder auch ein Rennpferd in Wiederholungsschleife. Seinen Hufen versuchen die beiden Caligaris auszuweichen, was sehr amüsiert.

Geräuschmusik greift die Ideen des Dadaismus — Wortspiele und manchmal auch sinnlos wirkende Reime — auf und ist manchmal auch komisch. Das sind auch die beiden Schauspieler mit ihren Wortspielen und Lautgedichten. Bühnenbildner Frank Andermahr beweist einmal mehr, wie er seinen Bühnenbau auf die Schauspieler vom Kresch zuzuschneiden versteht. Der von Wagner übernommene Begriff „Gesamtkunstwerk“, mit dem das Ensemble diesen Abend beschreibt, kann durchaus gelten. Denn sie schlagen mit modernen Mitteln eine Brücke in die Zeit vor 100 Jahren. Das Publikum applaudierte sehr begeistert.

“ Nächste Aufführung: Caligari-Nacht am 4. Juli um 20 Uhr mit Vorführung „Das Cabinett des Dr. Caligari“, Livemusik am Klavier von Erik Schmid, Hochschule Niederrhein

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