Holocaust Vor den Nazis geflohen: Das Schicksal der Familie Goldstein

Besuch aus Los Angeles gibt Aufschluss über von Nazis verfolgte Krefelder.

Holocaust: Vor den Nazis geflohen: Das Schicksal der Familie Goldstein
Foto: Stadt Krefeld

Krefeld. Larry Goldstein und seine Frau aus Los Angeles haben in Krefeld nach Spuren ihrer Familie gesucht. Goldsteins Vorfahren haben an der Bogenstraße gewohnt, daran erinnern Stolpersteine. In der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld lagen der Leiterin, Ingrid Schupetta, nur wenige Daten über Erna Goldstein geborene Wihl vor, keine über den 1922 geborenen Sohn Edgar. Dass die Familie in die Niederlande geflohen war, ging aus der Meldekarte im Krefelder Stadtarchiv hervor. Larry Goldstein konnte hier neue Erkenntnisse beitragen: Sein Großvater Alfred hatte in Venlo eine Chemiefabrik aufgebaut und diese nach Hilversum verlegt, weil in Venlo nicht genug Platz war.

Holocaust: Vor den Nazis geflohen: Das Schicksal der Familie Goldstein
Foto: Stadt Krefeld

Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde sofort Druck auf die Familie ausgeübt. Im Januar 1942 wurden sie in das Lager Westerbork gebracht. Sie gehörten zu den ersten Insassen des Lagers. Alfred konnte sich nützlich machen und Sohn Edgar, der kurz nach seiner Geburt in Hans-Jürgen umbenannt worden war, arbeitete als Heizer im Kesselhaus des Lagers. Ein Propagandafoto zeigt einen muskulösen jungen Mann, der schwungvoll Kohlen schaufelt. Am 13. März 1944 wurde die Familie nach Bergen-Belsen deportiert, obwohl gleichzeitig noch Züge in das Vernichtungslager Auschwitz fuhren. Alfred Goldstein starb Weihnachten 1944. In der Familie berichtete man, dass es gelungen war, Extra-Lebensmittel zu organisieren. Alfred Goldsteins Körper war aber durch den Hunger so belastet, dass das Essen zu einem Kreislaufversagen führte.

Mutter Erna und Sohn Hans-Jürgen gehörten dann zu den Häftlingen, die vor der Befreiung des Lagers in jene Züge gesetzt wurden, die eine 14-tägige Irrfahrt durch Deutschland machten. Ihr Zug kam am 23. April in der Nähe von Tröbitz, 80 Kilometer nördlich von Dresden zum Stillstand. Dort wurden die Gefangenen des verlorenen Transports von den Russen befreit. Erna und Hans-Jürgen Goldstein infizierten sich mit Flecktyphus. Sie überlebten die Erkrankung. Im Dezember 1949 wanderten die Goldsteins nach New York aus.

Hans-Jürgen, nun Harry-George, ging in New York noch einmal zur Schule. Im Englischkurs für Ausländer lernte er eine junge Jüdin aus Ungarn kennen. Miriam Roth hatte Auschwitz überlebt — im Gegensatz zum größeren Teil ihrer Familie. Die beiden zogen nach Los Angeles, die Mutter blieb immer in der Nähe. Sie heirateten. Im November 1953 wurde Tochter Elisabeth Joy (Lisa) Goldstein geboren. Erna Goldstein starb am 10. August 1956 und lernte ihren Enkel Larry, der 1957 geboren wurde, nicht mehr kennen.

Harry-George starb am 24. Mai 1974 in Los Angeles. Elisabeth wurde Schriftstellerin und flocht das Erleben der ungarischen Seite der Famililengeschichte in ihren ersten Roman „Der Rabbi und der Magier. Ein Märchenroman aus der Zeit des Holocausts” ein. Diese deutsche Ausgabe erschien 1985. Larry hatte von seinem Vater erfahren, wie wohl sich die Großeltern und der Vater in Krefeld gefühlt hatten. Die Juden wären in der Stadt gut integriert gewesen. Nach seinen schrecklichen Erfahrungen sagte der Vater auch über die USA: „Glaub’ ja nicht, dass das nicht auch hier passieren kann.” Mit dem Nachhall dieser Worte im Ohr machte Larry Goldstein von einer Möglichkeit Gebrauch, die den Nachkommen der verfolgten deutschen Juden offensteht: Sie können ohne Schwierigkeiten Deutsche werden. Der deutsche Pass ermöglicht dem Wissenschaftler einen leichteren Besuch bei den Fachkollegen in Bochum oder bei der Lehre an der Universität von Perugia in Italien. Red

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