Verzweifelte Sehnsucht, tolle Stimmen

Die Premiere von „Orpheus und Eurydike“ im Krefelder Stadttheater überzeugt das Publikum in jeder Beziehung.

Verzweifelte Sehnsucht, tolle Stimmen
Foto: Theater Krefeld

Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine Erfahrung, die wohl jeder im Lauf seines Lebens machen muss. Eng damit verknüpft ist die Sehnsucht, den verstorbenen Menschen wieder ins Leben zurückzuholen. Dass ist auch Thema des Mythos von „Orpheus und Eurydike“, der von der Antike bis heute immer wieder künstlerisch bearbeitet wurde. Eine der populärsten Versionen schuf Christoph Willibald Gluck mit seiner 1762 uraufgeführten Oper „Orpheus und Eurydike“.

Darin steht vor allem die menschliche Tragik des Stoffes im Mittelpunkt. Sein Librettist Ranieri de’ Calzabigi benutzte als Vorlage die Orpheus-Dichtung aus Ovids „Metamorphosen“. Mit einer Passage daraus beginnt auch der Opernabend im Krefelder Theater. Noch bevor die erste Note erklingt, hört man vom Band die klare, angenehme Stimme von Schauspielerin Rosemarie Weber, die in das Geschehen hineinführt. Klarheit ist auch das Leitmotiv der Inszenierung von Jakob Peters-Messer, der sich damit auf die aufklärerischen Ideen des 18. Jahrhunderts bezieht.

Denn Gluck ging mit seiner Version neue Wege. Anstelle der Barockoper mit ihrer Aneinanderreihung von Musiknummern setzte er auf ein musikalisch und inhaltlich zusammenhängendes Werk, in dessen Mittelpunkt menschliche Gefühle stehen. Leben und Tod, Licht und Schatten sind die Pole, um die diese Oper kreist. Die entsprechenden Farben sind Weiß und Schwarz, die die gesamte Optik des Abends kennzeichnen (Bühne und Kostüme Markus Meyer). Ein großer weißer Raum, mit schwarzen Türen, einem Kristalllüster, der von schwarzem Stuck eingefasst ist, und eine große Fensterfront bilden durch alle drei Akte hindurch einen eleganten, aber auch ein wenig unterkühlt wirkenden Schauplatz.

Mit wenigen Elementen verwandelt sich dieser Raum von der Welt des Künstlers Orpheus in eine düster-bedrohliche Unterwelt, ein von Licht durchflutetes Elysium und wieder zurück in die Realität. Mit der detaillierten Darstellung des Begräbnisses von Eurydike schlägt das erste Bild besonders düstere Töne an. Eine besondere Rolle spielt von Beginn an Amor, der hier nicht nur als fröhlicher Liebesgott, sondern auch als Verkörperung des Todes gezeichnet ist. Seine leuchtend roten Handschuhe sind im strengen Schwarzweiß der einzige Farbfleck, eine Gesichtshälfte ist als Totenkopf geschminkt.

Amor übermittelt nicht nur die entscheidenden Botschaften der Götter an Orpheus, er ist auch der stille Beobachter, der an entscheidenden Stellen in die Handlung eingreift. Mit ihrem klangschönen Sopran und großer Bühnenpräsenz meistert Panagiota Sofroniadou diese Aufgabe sehr souverän. Dass sie Mitglied im Opernstudio und damit noch ganz am Beginn ihrer Bühnenlaufbahn steht, merkt man der jungen Sängerin nicht an. Im Wesentlichen auf eine große Szene beschränkt ist die Rolle der Eurydike. Bei der Rückkehr aus der Unterwelt kommt es zur großen Auseinandersetzung mit Orpheus.

Da er sie laut Gebot der Götter nicht anschauen darf, glaubt sie, seine Liebe verloren zu haben. Sophie Witte verkörpert sehr überzeugend die Verzweiflung dieser Frau, die lieber erneut sterben möchte, als ungeliebt zu sein. Ihr zur Seite steht Eva Maria Günschmann als Orpheus, die stimmlich und darstellerisch eine Glanzleistung bietet und damit den Abend trägt. Nicht erst in der gegen Ende gesungenen berühmten Arie „Che farò senza Eurydike“ berührt die Sängerin mit ihrer sensiblen Interpretation.

Dass das zum Mythos gegensätzliche, positive Ende der Oper (eine erneute Rückkehr Eurydikes ins Leben) etwas unglaubwürdig ist, hat auch der Regisseur gespürt und sich für eine andere Version entschieden. Orpheus ist durch das Leid als Mensch und Künstler gereift, bleibt aber allein. Neben den drei großartigen Solisten trägt der präzise agierende Chor wesentlich zum Gelingen des Abends bei. Dynamische Eleganz steuern punktuell vier Paare des Ballettensembles bei, leider wird der berühmte „Tanz der seligen Geister“ nicht von ihnen verkörpert.

Die perfekten musikalischen Voraussetzungen schaffen die Niederrheinischen Sinfoniker, die Glucks wunderbare Musik unter der Leitung des Gastdirigenten Werner Ehrhardt sehr feinfühlig und facettenreich interpretieren. Entsprechend begeistert reagiert das Premierenpublikum und feiert Darsteller und Regieteam mit langem Applaus und Bravo-Rufen.

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