Verrückte sitzen im Schrank

In der neuen Produktion des Kresch-Theaters versuchen sich drei Regie-Neulinge an Märchenstoffen.

Verrückte sitzen im Schrank
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Experimente können gelingen oder scheitern: Im Kresch-Theater hat das Kreativlabor eine dreiteilige Versuchsanordnung auf die Studiobühne II der Fabrik Heeder gebracht, die von beidem etwas hat.

Die drei Nachwuchsregisseure Laura Melisande Groß, Marcel Rüge und Laura Thomas haben auf drei verschiedene Weisen die Auseinandersetzung mit dem Märchen probiert. „Märchen — oder wie viel Hexe steckt in Dir?“ war ihr gemeinsamer Ansatzpunkt für einen ausgedehnten Abend.

Den ersten Teil verantwortet die Schauspielerin Laura Melisande Groß. Mit ihrer ersten Regiearbeit bringt sie ein Thema auf die Bühne, das sie sehr beschäftigt. Wie verrückt sind wir — und wenn ja, wo? Hier — in einem fünfteiligen Kasten, in den die Menschen außerhalb der Normalität eingesperrt sind.

Die „Verrückten“ werden in die Gesellschaft entlassen, und kehren doch wieder zurück in die Geborgenheit der Anstalt. Denn die Reform — Italien in den 60er Jahren — funktioniert für diese Menschen nicht. Laura Groß hat sich an dem Drama „Stravaganza“ der italienischen Feministin und Menschenrechtlerin Darcia Maraini versucht. Allerdings fällt die Anpassung an unsere Zeit, in der allenthalben von Inklusion und UN-Konvention-Paragraphen die Rede ist, schwer. Aggression wird hier in Geschrei übertragen — die leise Form kann eindringlicher sein.

Die Gesellschaft ist die böse Hexe, und weit und breit ist keine gute Fee in Sicht. Die Schauspieler in diesem beklemmenden Part erweisen sich als sehr talentiert, allen voran überzeugend die Regisseurin.

Eine völlig andere Auffassung von Märchen hat Marcel Rüge. Gretel, Rumpelstilzchen, Stadtmusikant und Struwwelpeter wuseln hier dynamisch umeinander. Gretel lockt die Zuschauer dann mit Lebküchlein ins Freie, wo ein ungeschickter Feuerschlucker einen misslungenen Zauber veranstaltet. Sehr blöd: Dass man hier Essen mit Füßen tritt und so gar nicht verzaubert wird. Hexe? Nur vereinzelte Gestalten ohne Bezugspunkt.

Zauber aber entsteht dann im dritten Teil von Laura Thomas. Der 29-jährigen Jung-Krefelderin — sie ist gerade erst in die Samt- und Seidenstadt gezogen — gelingt es in „Brain Twister“, die Gegenwart junger Menschen zu spiegeln. Der Neid auf die Schönheit der anderen — Schneewittchen — ist ihr Angelpunkt.

Sie versieht das Beziehungsdreieck von Anna, Paul und Felix mit treffenden Dialogen und gibt ihnen eine überzeugende Dynamik. Phantasievolle Einfälle verwandeln ihre Figur Anna (Laura Groß) in eine märchenhafte und doch realitätsnahe Fee — diese Regiearbeit entspricht dem Märchenhaften am meisten und versteht es, den Bezug zur Gegenwart darzustellen. Denn der Zuschauer kann — obschon das Unentschlossene des Protagonisten ihm dauert — auf ein gutes Ende hoffen.

Allen Beteiligten ein großer Applaus vom Publikum im knapp ausverkauften Saal. Ein interessanter Theaterabend: An gescheiterten Versuchsreihen kann man wachsen, glückliche Experimente versprechen Zukunft.

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