Theater Ein bedrückendes Schauspiel in einem Bunker

Krefeld · Die Inszenierung der „Flüchtlingsgespräche“ von Bertolt Brecht wirkt in dem Gebäude am Hauptbahnhof beängstigend real.

 Das Stück „Flüchtlingsgespräche“ wird noch zwei Mal im Bunker aufgeführt.

Das Stück „Flüchtlingsgespräche“ wird noch zwei Mal im Bunker aufgeführt.

Foto: Thomas Weinmann

Das letzte Wort hat der große Dichter selbst. Bertolt Brechts Stimme begleitet Kalle, den politischen Flüchtling auf seinem Weg in die Dunkelheit. Ziffel, ebenfalls ein Flüchtling, ist da bereits abgeführt. Zu diesem Zeitpunkt ist das Publikum schon mitten in der Handlung, Zuschauer und Statist zugleich, integriert in die „Flüchtlingsgespräche“.

Die Akteure der Kresch-Aufführung befinden sich nicht in einem Wartesaal in Helsinki, wie beim flüchtenden Brecht, sondern im Bunker am Krefelder Hauptbahnhof. Eine meisterliche Umsetzung von Regisseur Franz Mestre an einem Ort, wie er passender nicht sein könnte, mit der Idee, die Zuschauer durch eigene Erfahrungen mitfühlen zu lassen.

Die Szenerie ist bedrückend, fast beängstigend real. Zuerst scheint noch die Sonne durch die Oberlichter. Mit dem Verlauf der Handlung wird es kälter, dunkler. Die Straßenbahnen rollen mit dumpfem Geräusch vor dem Gebäude vorbei. Die Zuschauer sitzen hinter geschlossenen Gittern, oder sind die beiden Schauspieler, Arbeiter Kalle oder Physikerin Ziffel, auf der anderen Seite des Gitters die Gefangenen?

In den eingezäunten Bereich darf das Publikum nur nach einer scharfen Kontrolle des schwarz gekleideten und mit tief in die Stirn gezogener Kapuze dastehenden Sicherheitsdienstes. „Halten Sie ihre Pässe bereit, Handys müssen ausgeschaltet sein“, lauten die Befehle. Jeder wird fotografiert. Alle 60 Menschen folgen ihnen geschlossen, lassen es widerspruchslos zu. Dann sind sie hinter den Gittern und mitten im Stück angekommen.

„Der Pass“, sinniert Kalle, „ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“

Ziffel, ist bei Mestre weiblich, bei Brecht ein Mann, ergänzt: „Man kann sagen, der Mensch ist nur der mechanische Halter eines Passes. Der Pass wird ihm in die Brusttasche gesteckt wie die Aktienpakete in das Safe gesteckt werden, das an und für sich keinen Wert hat, aber Wertgegenstände enthält.“

Im Zuschauerbereich herrscht absolute Stille. Alle lauschen den wie plaudernd vorgetragenen Überlegungen, Erkenntnissen, die zweideutig, aber eindeutig sind. Die Flüchtlinge wissen, dass sie die Wahrheit weder laut — sie blicken sich, bevor sie sprechen, meist vorsichtig um — noch allzu deutlich sagen dürfen.

Die „Flüchtlingsgespräche“ sind nicht nur das aktuelle Thema in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, sondern auch heute — in Deutschland und der Welt. Vor diesem Hintergrund kommt die Frage auf, wie sich diese vertriebenen Menschen fühlen, welche Stimmung und Gedanken sie haben und über welche Themen sie diskutieren. Brecht schrieb an seinen „Flüchtlingsgesprächen“ bis 1944.

„Die Sorge für den Menschen“, findet Ziffel, „hat in den letzten Jahren sehr zugenommen, besonders in den neuen Staatengebilden. Es ist nicht wie früher, sondern der Staat kümmert sich.“

Dann erscheint wieder der Sicherheitsdienst. Er öffnet den Zaun. Die Zuschauer werden mit Nachdruck aufgefordert, mitzukommen und damit tiefer in den Bunker hineinzugehen. Alle folgen ausnahmslos. Ohne Laut, sprachlos, still und leise folgen sie den Männern gehorsam in die Tiefe, müssen erneut durch die Gesichtskontrolle, bekommen Plätze zugewiesen, aufgereiht in einer Linie. Dort sind auch Kalle und Ziffel. Sie setzen sich dazu, teilen schweigend die unvergleichliche Situation mit den Zuschauern. Es ist die letzte Station der Beiden, dann werden sie getrennt weggeführt.

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