Tanzen: „Ein Workshop ist eine Gesellschaft im Kleinen“

Wie zeitgenössischer Tanz mit Hip Hop zusammenpasst, erklärt der Krefelder Tänzer Andreas Simon.

Tanzen: „Ein Workshop ist eine Gesellschaft im Kleinen“
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Choreograph Andreas Simon bietet gemeinsam mit dem Hip-Hop-Tänzer Joao Kanga am 23. und 24. Juni einen Workshop zum Thema „Hip Hop trifft zeitgenössischen Tanz“ an. Die WZ hat mit Simon im Vorfeld gesprochen.

Herr Simon, das Kulturbüro der Stadt Krefeld bietet mit dem Format First Steps jungen Choreographen eine künstlerische Plattform für zeitgenössischen Tanz. Wie passt Hip Hop da rein?

Andreas Simon: Ich finde, es ist ganz wichtig zu zeigen, dass Kunst nicht nur in einer fertigen Performance, sondern auch während eines Arbeitsprozesses entstehen kann. Daher ist unser Workshop eine wertvolle Ergänzung in diesem Festival.

Welche Motivation gab es zu diesem ungewöhnlichen Workshop?

Simon: Tanz ist eine dynamische Sache. Das Kulturbüro der Stadt Krefeld ist interessiert, Vernetzungen zwischen verschiedenen Kunstformen zu schaffen und Stile, die sonst nur parallel laufen, zusammenzuführen und zu sehen, wo es gewisse Schnittpunkte geben kann. Daher ist es spannend, das eigene Spektrum zu erweitern und zu fragen: Was ist alles Tanz?

Wo liegen denn die Unterschiede zwischen Hip Hop und zeitgenössischem Tanz?

Simon: Der Hip Hop ist eher ein Selbstfindungstanz. Da geht es um den Ausdruck eigener Emotionen. Im Freestyle werden bestimmte Bewegungen frei kombiniert und in sogenannten Battles, also Wettbewerben ausgetragen. Im zeitgenössischen Tanz kennen wir dagegen keinen Wettbewerb, da mehrere Dinge nebeneinander stehen dürfen. Statt Freestyle benutzen wir hier den Begriff der Improvisation. Dabei können völlig neue Bewegungsformen gefunden werden, die manchmal auch widersprüchlich in einen gemeinsamen Rahmen gefasst werden und zu einem Ganzen agieren. So können wir mit diesem Workshop auch zeigen, wie viel parallel auf der Bühne stehen darf als buntes Abbild unserer Gesellschaft und wie man von bloßer Unterhaltung zu Tanz gelangt.

In Ihrem Workshop wollen Sie diese beiden Tanzformen zusammenführen?

Simon: Ja, wir werden zunächst eine Hip-Hop-Choreographie erlernen und daraus dann ein zeitgenössisches Stück entwickeln. Am zweiten Tag machen wir das Gleiche umgekehrt.

Sie arbeiten hauptsächlich mit Kindern und Jugendlichen, produzieren sogar abendfüllende Stücke. Was ist Ihre Inspiration dabei?

Simon: Gerade habe ich beispielsweise ein Projekt mit gehörlosen Kindern im Alter von zweieinhalb bis fünf in einem Düsseldorfer Kindergarten abgeschlossen. Morgen soll die Aufführung sein und alle sind schon mächtig aufgeregt. Egal, ob ich mit Kindern oder Jugendlichen arbeite, statt: „Mach mal!“ zu sagen, sehe ich mich eher in der Position eines Beobachters, möchte eine Initialzündung bewirken, dessen Antrieb Neugierde ist. In einem Warm-up werden Körperwahrnehmung sowie Raum- und Zeitgefühl geweckt, bevor ich die Jugendlichen alleine oder in Gruppen eigene Bewegungsformen entwickeln lasse.

Tanzen setzt doch auch Emotionen frei. Gibt es in Ihren Gruppen manchmal auch Tränen und Konflikte?

Simon: Ja klar, es wird auch heftig gestritten. Gerade, wo Menschen zusammenkommen und etwas Gemeinsames schaffen, gibt es Konflikte. Eine Gesellschaft im Kleinen halt.

Was nehmen Sie sich für die Zukunft vor, haben Sie irgendwelche Ziele?

Simon: Es gibt kein hochgestecktes Ziel. Ich mag nicht das Gefühl haben, mich in einem Abstand zu etwas Erstrebenswerten zu befinden. Außerdem möchte ich offenlassen, wo es hingeht. Ich mag es sehr, für die Kids ein Begleiter zu sein und eine Schutzfunktion zu erfüllen. Es ist mir wichtig, ihnen zu vermitteln, dass es nicht darauf ankommt, etwas zu können, sondern im Leben zurecht zu kommen, ob mit oder gegen den Mainstream. Eben eine eigene Identität zu entwickeln und die Freiheit des Anderen dabei zu tolerieren. Dabei lerne ich selber auch nicht aus: Als ich mit Flüchtlingsmädchen arbeitete, die noch nie im Leben Sport getrieben haben und sich buchstäblich hinter Schleiern verbargen, bedeutete deren Freiheit, ihnen beim Tanzen die Schleier zu lassen.

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