Zeitgenössische Musik : Wo auch Staubsauger musizieren
Krefeld Das Theater am Marienplatz ist ein Kleinod zwischen Avantgarde, zeitgenössischer Tradition und Experiment. Und es spielt wieder, jeden Freitag.
Es gibt in Krefeld-Fischeln einen ganz besonderen Ort, der ganz und gar in einer anderen Sphäre zu schweben scheint. Ein Ort, an dem viele Adern der Avantgarde und zeitgenössischer Klang- und Performance-Kunst zusammenlaufen, um einen Organismus zu nähren, der schlicht ganz unprätentiös „Theater am Marienplatz“ heißt. So unprätentiös wie der Kopf hinter diesem Theater, das eigentlich kein Theater ist, Pit Therre – dem Leiter des Tam, wie es kurz heißt.
Unprätentiös, weil er sich als Person nicht zu wichtig nehmen möchte, weil ihm ohnehin Gerede um Kult und alles Bedeutungsschwangere suspekt ist. Weil es ihm um die Kunst geht, um Musik und Performance. Doch dieser Ort ist zeitgleich viel mehr, als das gemeinsam mit vielen Mitstreitern geschaffene Lebenswerk eines Künstlers, der sich einer Musik verschrieben hat, die viele gemeinhin als zu komplex, zu abgehoben und abgedreht betrachten – oft, weil sie sich nicht trauen, sich darauf einzulassen.
Wegen Corona stehen die Stühle im Tam auf Abstand
Auch trotz Corona wird es wieder Programm im Tam geben, dem Ort, den beispielsweise der große Komponist Mauricio Kagel vielleicht sogar als so etwas wie sein zweites Wohnzimmer betrachtete. Aufführungen, traditionell um 22 Uhr, freitags, mit monatlich wechselnden Programmen; derzeit mit Abstand gestellten Stühlen. Und ja so spät, weil es eine bewusste Entscheidung sein soll, dort hinzugehen – so soll es Kagel einmal selbst vor Ort gesagt haben.
Doch in den Räumen des Theaters, das wie eine avantgardistische Fundgrube, ein Wunderland der Klangkunst voller Skurrilität und Würde, Nostalgie und Patina ist, kann man nicht nur Spuren von ihm finden. Viele Experimente haben ihre Aura – wobei Therre wahrscheinlich bei diesem Wort lauthals hinter seinem Bart lachen würde – hinterlassen. Der Künstler-Komponist Gerhard Rühm beispielsweise, dessen Musik sich der Saisonstart im September widmen wird. Ganz in Ganzton, wie uns Pit Therre erklärt, also in Tonreihen, die nur aus Ganztonschritten und nicht wie üblich aus der Mischung aus Ganz- und Halbtonschritten bestehen, erklingt Musik, die sich mit dem Sterben befasst. „Sterbemusik“ heißt das Programm, das jeden Freitag im September erklingen wird, unter anderem mit Werken wie „Meditation über die letzten Dinge“ (1983) für Klavier, „Meditation über einen alten Spruch“ (1982) für Sprechstimme und Klavier oder „Zum Tode“ (1979).
Bei Pit Therre gibt es Beethovens Sinfonien simultan
In diesem Kleinod der unangepassten und dennoch zwischen einer vormals neuen und inzwischen auch vergangenen Tradition changierenden Klangkunst kann der interessierte Besucher gewiss Momente erleben, die ihn zum Nachsinnen anregen. Momente, die, wenn man offen ist, den Zuhörer und Betrachter in Klangwelten, in Ästhetiken hineinziehen, die zwar ungewohnt aber auch deshalb sehr spannend sein können. Ein bisschen als wäre man in einer Parallelwelt. So etwa im Oktober, wo den Besucher „Staubsaugermusik“ erwartet. Einerseits von Carola Bauckholt, vormals Tam-Mitglied und Kagel Schülerin, aber auch von Therre und Suchan Kinoshita.