Kultur in Krefeld Tam: Ein besonderes Theater wird 40

Pit Therre betreibt mit dem Tam eine Bühne für experimentelles Programm.

Krefeld. Wenn Pit Therre (geboren 1939) über die Kölner Straße in Fischeln schlendert oder in seinem Lieblingscafé sitzt, wird er durchaus von anderen Fischelnern gegrüßt. Man kennt sich. Manche wissen vielleicht auch noch, dass er in der ehemaligen Grundschule am Marienplatz wohnt. Aber was macht er da eigentlich für ein Theater? Denn das steht ja dran: Theater am Marienplatz. Das wissen nur wenige in Krefeld. Im Herbst 2016 wird das Theater am Marienplatz, kurz Tam, 40 Jahre alt — und man kennt es weltweit.

Der Theatermacher Pit Therre war eigentlich Musiklehrer in Geldern. 1970 zog er erstmals mit seinem „Thespiskarren“ durch Krefeld, fand dann kurz an der Kölner Straße für seine Aufführungen Unterschlupf. 1976 wurde er mit dem Tam im städtischen Schulgebäude am Marienplatz sesshaft. Die erste Spielzeit begann mit Karl-Heinz Stockhausens „Herbstmusik“.

Das Tam habe sich „auf wenig bekannte sowie zeitgenössische Werke spezialisiert“, heißt es auf der Web-Seite des Theaters und weiter: „Gespielt werden in erster Linie Literaten und Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts.“ Das ist, wie es im Tam und bei Therre zum guten Ton gehört, Understatement pur.

Gespielt und gezeigt wird die literarische, musikalische und vor allem musiktheatralische Avantgarde der Moderne und Gegenwart, also zum Beispiel Werke von Samuel Beckett, John Cage, Kurt Schwitters, H. C. Artmann oder Erik Satie. Aber auch vergessene Autoren werden ins Bühnenlicht gezerrt und vor allem fast immer Werke, die im gängigen Stadttheater durchs Auswahlrost der Dramaturgie fallen, weil sie vielleicht als zu schwierig, zu experimentell gelten.

Die Literaturikone Gerhard Rühm (1930) hat im Tam ihren 60. Geburtstag mit einer „achtstündigen Gala“ gefeiert, und der weltberühmte Komponist Mauricio Kagel (1931-2008) hat es sich auch nicht nehmen lassen, im Tam seinen 60., 70. und 75. Geburtstag zu begehen. Das Tam war schon in Paris, Berlin, Zürich, Amsterdam, Lille, Venedig, Wien und Tel Aviv zu Gast, zuletzt in Bogota und Maastricht. Gerade auch wegen seiner Kagel-Inszenierungen ist es immer wieder über die Grenzen Krefelds hinweg eingeladen worden.

Pit Therre mag es nicht nur nicht, er hasst es geradezu, im Vordergrund zu stehen. Das weiß auch jeder, der es einmal gewagt hat, ihn dazu überreden zu wollen, sich fotografieren zu lassen. Und in der Tat ist Therre ja auch nicht alleine im Tam. Das Ensemble, das hier mit Therre und oft unter seiner Regie spielt, ist zurzeit eine bis zu zehn Köpfe große eingeschworene Truppe von Theateramateuren oder, um es viel besser mit den Worten Kagels zu sagen, „eine Laiengruppe höchster Professionalität, die imstande wäre, jedes Nicht-Laien-Theater das Fürchten zu lehren“.

Fürchten musste man um das Tam selbst im 25. Jahr seines Bestehens. Das alte Schulgebäude am Marienplatz wurde 2001 wegen des nicht mehr ausreichenden Brandschutzes geschlossen. „Notaufführungen“ fanden in einem Nebensaal oder auf dem Marienplatz statt.

Woher die Mittel zur Sanierung kommen sollten, war lange unklar, schließlich stemmten sie Stadt und Land gemeinsam. Kagel und Rühm, aber auch der Schweizer Urs Peter Schneider und die aus dem Tam-Ensemble hervorgegangene Carola Bauckholt hatten sich für das Theater ins Zeug gelegt, nicht zuletzt auch der Landtagsabgeordnete Oliver Keymis.

Nach etwa zwei Jahren Notpause konnte das Tam 2003 seinen regulären Spielbetrieb wieder aufnehmen. Es wird Therre freuen, dass man dem Theater die Sanierung nicht ansieht. Das Foyer, in dem an den Wänden Programmzettel aus 40 Jahren hängen, scheint unverändert, dem Charme der 1970er Jahre konnte der Brandschutz nichts anhaben.

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