Theater Taboris „Jubiläum“ wird im Kresch zur Theaterkunst

Krefeld · Theaterleiterin Isolde Wabra inszeniert das 1983 entstandene Stück auf künstlerischer Höhe – so kann Jugendtheater auch sein.

 „Jubiläum – Unterwegs in die Vergangenheit“ von George Tabori wurde am Kresch-Theater in Krefeld von Isolde Wabra inszeniert.

„Jubiläum – Unterwegs in die Vergangenheit“ von George Tabori wurde am Kresch-Theater in Krefeld von Isolde Wabra inszeniert.

Foto: Kresch

Vor 75 Jahren ging der unaussprechliche Gräuel des Zweiten Weltkrieges zu Ende. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit – ein Ort, der als Synonym für den Holocaust, den nationalsozialistischen Völkermord, gelten kann. In vielen Gedenkveranstaltungen wurde an die Befreiung, vor allem aber auch an das Schicksal der Ermordeten, der Überlebenden und ihrer Familien gedacht – grenzenlos. Gegen das Vergessen.

Das Stück Taboris ist ein bewusster Grenzgang

Mit ihrer Inszenierung von Georg Taboris Theaterstück „Jubiläum“ setzt das Kresch-Theater einen besonderen Akzent. Unter dem Titel „Jubiläum – unterwegs in die Vergangenheit“ hat Theaterleiterin Isolde Wabra, die hier zeitgleich als Regisseurin und Bühnenbildnerin fungiert – im besten Sinne als Theatermacherin – eine kunstvolle Adaption des 1983 entstandenen Werkes geschaffen. Das ist gerade in seiner Anlage als bewusster Grenzgang keine leichte Kost.

Der große Theatermann Tabori, ungarischer Abstammung und selbst jüdischer Herkunft, schuf mit dieser Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Bochum eine verstörend surreal groteske und zeitgleich anrührend poetische Auseinandersetzung zum 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung. Auf der Szenerie eines jüdischen Friedhofs, der von einem jungen Neonazi geschändet wird, entspinnt sich ein geisterhafter Reigen zwischen Erinnerung, Lebensgeschichten, Tod und Verzweiflung, aber auch der Überwindung von irdischen Kategorien. Es tauchen Geister auf, die sich erinnern, und dies mit einem entwaffnenden Humor – einem schwarzen provokanten Humor, der den Betrachter nicht zum Lachen animiert. Die Schwingungen, die so entstehen, evozieren eher ein tiefes Gefühl des „Mitleidens“, des Mitfühlens.

Wabra schafft es, in ihrer Inszenierung das Stück durch seinen inneren ästhetischen Kern wirken zu lassen. Und dies mit einem Gefühl für eine Theatersprache, die die Ästhetik um die Ära der Entstehungszeit des Stückes zitiert, aber nicht kopiert, sondern in eine zeitlose Qualität überträgt. Minimalistisch mutet in der Fabrik Heeder, wo das Stück auch anlässlich des 27. Januar aufgeführt wurde, die Szenerie an.

Holzbretter repräsentieren die Grabsteine, „Stolpersteine“ fungieren als Grabmäler. In eine etwas vernebelte Stimmung setzten sich die mit viel Charisma akzentuierten sprachlichen Pointen Taboris. Mit viel Einfühlung verkörpert von den Schauspielern des Theaters. Die selbst bei den härtesten Pointen perfekt in der Rolle bleiben. Die dem zwischen erdrückendem Gewicht und Leichtigkeit changierendem Stück zur vollen Wirkung verhelfen. Aber sind derartige Pointen überhaupt erträglich, angesichts des so furchtbaren Themas? Wer kann das beantworten?

Die eigentliche Provokation überlässt Wabra dem Stück, dem Werk Taboris, das uns mit seiner bittersüßen Mischung aus Grausamkeit und einer Lakonie – die wohl nur Geister haben können – mehr und mehr in diese Zwischenwelt hineinzieht. In dieser trifft man neben dem wohl lebendigen Neo-Nazi und dem Totengräber Wumpf (Thomas Jansen) auf Verstorbene, wie Arnold, einen Musiker (Angelo Enghausen-Micaela), seine Frau (Britta Weyers), ihre körperbehinderte Nichte Mitzi (Linda Klein), das homosexuelle Paar Otto (Markus Bachmann, der zeitgleich Helmuts Neffen Jürgen und den Neo-Nazi spielt) und Helmut (Johannes Stelzhammer).

Sie alle berichten von ihrem Schicksal, ihrem Tod, ihrem Leben – das ineinanderfließt. Eine besondere Rolle kommt der Erzählerin Cloti Peukes und Helmut Wenderoth – er ist der Geist von Arnolds verstorbenem Vater – zu. Letzterer schreitet zunächst auf der Galerie während des gesamten Stückes umher, um schließlich am Ende auf seinen Sohn zu treffen. Eine wundervolle Idee – und wie so Vieles assoziationsstark. Sowohl die Kostüme von Selcuk Suvak als auch die musikalische Auswahl, die auch Wagner zitiert, unterstützen die überaus kunstvolle Inszenierung, bei der auch Performer aus den Kreschtheater-Projekten „Spielwiese“ und „Müllerschön“ mitgewirkt haben.

Viele Momente lassen uns atemlos. Sie müssen eher im Gesamtkontext erlebt als erzählt werden. Ein solcher Moment ist die Erinnerung an 20 Kinder, die am Bullenhuser Damm 1945 hingerichtet wurden.

Theaterkunst ist frei. Frei, weil sie Kunst ist, frei, weil sie Dinge auf die Bühne bringen kann, die Realität transzendieren, frei, weil sie auch sonstige Grenzen überschreiten kann und unterschiedliche Assoziationen miteinander zu vermischen vermag. Wenn es um Jugend- und Kindertheater geht, wird bisweilen diese Freiheit von den Machern selbst eingeschränkt. Es soll pädagogisch aufbereitet, politisch korrekt, am besten der Zielgruppe entsprechend ausgerichtet und vor allem auch noch so unterhaltsam sein, dass die jungen Besucher sich nicht langweilen. Nun – das kann man so machen, insbesondere wenn man genau zu wissen glaubt, wie das junge Publikum ticken mag.

Aber wie erfreulich ist es, wenn Jugendtheater auch einmal zeigt, dass es auch eben jene freie Theaterkunst sein kann. Jene, die vor allem davon lebt, durch Kunst in einen emotionalen Dialog mit dem Publikum zu treten. Das wünscht man sich im Jugendtheater!

Das Jugendstück richtet sich an alle Menschen ab 16 Jahren, ist bewusst aber nicht nur ein „Jugendstück“ und kann auch Erwachsene in den Bann ziehen. Die Spieldauer ist 90 Minuten ohne Pause.

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