Premiere: „Joseph Süß“-Komponist Detlev Glanert: „Ich schreibe nicht für die Ewigkeit“

Detlev Glanert komponiert Opern. Vor der Premiere von „Joseph Süß“ spricht er über Vorurteile, Emotionen und Beethoven.

Krefeld. Detlev Glanert komponiert Opern. Vor der Premiere von „Joseph Süß“ spricht er über Vorurteile, Emotionen und Beethoven.

Herr Glanert, wie kommt man darauf, Komponist zu werden?

Detlev Glanert: Das ist nicht so ungewöhnlich, wie man denkt. Statistisch gesehen widmen sich mehr Jugendliche dem Komponieren als dem Malen. Es muss ein menschliches Bedürfnis sein.

Inwiefern?

Glanert: Wer ein Instrument in der Hand hält, fängt an, herumzuspielen und auszuprobieren. Im Kern ist Komponieren genau das — ein sehr intelligentes Spiel, bei dem wir uns wie erwachsene Kinder fühlen.

Wie war es bei Ihnen?

Glanert: Ich hatte das Glück, dass es an meiner Schule zwei gute Orchester gab. Da habe ich einfach loskomponiert und konnte das Ergebnis auch sofort hören.

Das klingt sehr intuitiv.

Glanert: Emotionen sind mir beim Komponieren sehr wichtig. Doch um das in Noten zu formulieren, braucht es kühlen Intellekt.

Wie ist es, das eigene Werk dann auf der großen Bühne zu sehen?

Glanert: Wahnsinnig aufregend. So stelle ich mir eine Kindsgeburt vor. Man kann im Vorfeld sein Bestes geben, aber leben muss das „Baby“ von alleine.

Dazu übergeben Sie es anderen Menschen.

Glanert: Das geht nur mit Vertrauensverhältnis. Ich muss den Sängern, dem Dirigenten, dem Regisseur vertrauen, und sie müssen meiner Partitur vertrauen. Sonst liegt da kein Segen drauf.

Und dann üben Sie Kritik.

Glanert: Ich habe als Komponist kein formelles Recht dazu. Ich habe nur Rederecht — aber das benutze ich bis zum Exzess, zur Not bis vier Uhr nachts in der Kneipe. Theater handelt mit Emotionen, das darf man bei Auseinandersetzungen ruhig spüren.

Streiten Sie auch mit Zuschauern?

Glanert: Letztlich muss das Publikum selbst entscheiden, was es von meiner Musik hält. Das Einzige, was mich aggressiv macht, ist, wenn die Leute schon mit geschlossenen Ohren und voller Vorurteile in die Oper kommen. Es gilt: Erst anhören, dann buhen — und nicht umgekehrt.

Woran liegt es, dass die Neue Musik es bei vielen so schwer hat?

Glanert: Das ist eine soziale Entwicklung: Viele Leute haben keine Neugier mehr. Kinder sind da viel offener, sie sind sozial noch nicht so eingekastelt.

Kritiker würden umgekehrt sagen: Neue Musik ist zu sperrig.

Glanert: Kein Komponist nimmt sich vor, das Publikum zu quälen. Aber natürlich setzt E-Musik Anstrengung voraus. Sie funktioniert nicht als Klangtapete — das gilt übrigens auch für Beethoven. Sie dient nicht der Zerstreuung, sondern der Konzentration. Sie ist kompliziert, aber darauf sollten wird stolz sein, weil sie ein Ergebnis unserer Kultur ist..

Wie wichtig ist dafür das musikalische Rüstzeug der Zuhörer?

Glanert: Sehr wichtig. Die musikalischen Grundlagen wurden seit hunderten von Jahren selbstverständlich gelegt — und zwar in den Schulen. Das ist seit 20, 30 Jahren anders. Musische Grundausbildung steht auf dem Papier, aber sie findet oft nicht statt. Ich kenne Schüler, die seit fünf Jahren keine Stunde Musik hatten.

Glauben Sie, dass die heutige Musik die Jahrhunderte überlebt?

Glanert: Spielpläne verändern sich schon jetzt: Neues wird Altes. Aber ich bin kein Prophet. Ich schreibe nicht für die Ewigkeit, sondern für uns, heute.

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