Kultur Nach 30 Jahren Abschied vom „Gemischtwarenladen Kulturbüro“

Krefeld · Jürgen Sauerland-Freer wurde offiziell und mit vielen Gästen aus der Tanzszene verabschiedet. Einen Nachfolger gibt es noch nicht.

 Jürgen Sauerland-Freer mit seiner Ehefrau Doris beim offiziellen Abschied der Stadt.

Jürgen Sauerland-Freer mit seiner Ehefrau Doris beim offiziellen Abschied der Stadt.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Dreißig Jahre hat Jürgen Sauerland-Freer die Krefelder Kulturszene entscheidend gestaltet, zwei Drittel der Zeit als Leiter des Kulturbüros und seit einem Jahr auch als Leiter des Fachbereichs Kultur. Länger als ursprünglich geplant, wird er Ende April in den Ruhestand treten. Mit einer besonderen Veranstaltung in der Fabrik Heeder hat die Stadt sich bereits jetzt von ihrem Kulturmann verabschiedet. Der Ort war perfekt gewählt, da die Fabrik Heeder in Sauerland-Freers Tätigkeit von Beginn an eine zentrale Rolle eingenommen hat. Sein Dienstantritt fällt mit der Gründungsphase der Fabrik Heeder als städtisches Kulturzentrum zusammen. Dass dieser Ort heute einer der wichtigsten Adressen für die zeitgenössische Tanzszene ist, ist eines der schönsten Ergebnisse seiner Arbeit. So war auch der Abend, zu dem neben Rat und Verwaltung auch sehr viele Kulturschaffende Krefelds gekommen waren, neben den zu so einem Anlass üblichen Reden, vom Tanz geprägt.

Wie Moderator Achim Conrad es formulierte, hat Sauerland-Freer dem zeitgenössischen Tanz in Krefeld ein Forum gegeben. Über vierhundert Aufführungen haben dort bereits stattgefunden. Das wichtigste Format, das 1994 ins Leben gerufen und inzwischen jährlich stattfindet, ist das Festival „Move!“.

Bei den sechs Tanzdarbietungen des Abends traten Künstler auf, die dieses Festival über Jahre mit ihrer Arbeit geprägt haben. Den Auftakt machten Avi Kaiser und Sergio Antonino (Kaiser Antonino Ensemble) mit einem kraftvollen Pas de Deux der besondern Art. Es folgten Soloauftritte von Mitsuru Sakaki, dem inzwischen 75-jährigen Altmeister des modernen Tanzes, und Ilona Paszthy. Die in Köln ansässige Choreografin hatte 2015 im Rahmen des Formats „move in town“ eine packende Choreografie am Rheinufer in Hohenbudberg gezeigt hatte. Zwei starke Soloauftritte mit vollem Körpereinsatz zeigten Sabine Seume und Henrietta Horn. Zum Abschluss unterhielt Emanuele Soavi das Publikum mit einer Performance aus Gesang und einer eigenwilligen Interpretation des Ballettklassikers „Nachmittag eines Fauns“.

Videobotschaften von weiteren Künstlern zeigten die weltweite Vernetzung und persönliche Freundschaften, die der Tanz in der Fabrik Heeder ermöglicht hat. So schickte Sayonara Pereira, die 1997 in Krefeld aufgetreten ist, ihre guten Wünsche aus Sao Paulo. Per Videobotschaft meldete sich auch Rolf Sachsse, ehemaliger Professor an der Hochschule Niederrhein, der 1990 mit Sauerland-Freer die Fotogalerie in der Fabrik Heeder ins Leben rief. Einen witzigen Schlusspunkt per Video setzte das Duo Hartmann Mueller, das sich mit dem Lied „Don’t worry, be happy“ an den zukünftigen Ruheständler wandte.

Dass es schwer sei, die richtigen Abschiedsworte zu finden, bekannte auch Oberbürgermeister Frank Meyer. In seiner herzlichen und persönlichen Ansprache würdigte er ausführlich die Verdienste. Dazu machte er einen Blick zurück auf das Krefelder Kulturleben vor Sauerland-Freer: „Damals gab es keine Fabrik Heeder, kein kommunales Kresch-Theater, kein Festival für zeitgenössischen Tanz, kein Bandoneon-Festival.“

Meyer skizzierte auch die Persönlichkeit eines Mannes, dem die Leidenschaft für die Kultur nicht in die Wiege gelegt war. In Unna als Jürgen Sauerland geboren, stammt er aus einer von harter Arbeit geprägten Familie. Sein Interesse für Kunst und Kultur wird bereits von einem Lehrer geweckt, de Vorsitzender des Unnaer Kunstvereins ist. Trotzdem macht der junge Mann erst eine Lehre als Krankenkassenfachangestellter. Sein damaliges Erscheinungsbild brachte ihm den Spitznamen „Hippie von der AOK“ ein. Sein ausgeprägtes politisches Interesse findet in der damaligen Zeit der 1968er Jahre einen Nährboden. Er studiert Sozialpadägogik, ist Mitglied im Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) und engagiert sich in der gewerkschaftlichen Jugendbildungsarbeit. Ein weiteres Studium absolviert er mit dem Ziel Berufsschullehrer zu werden.

In den 80er Jahren sind die Aussichten für Lehrer schlecht und als er bei einem freien Bildungswerk in Iserlohn tätig ist, erfährt er von einer Stelle in Krefelder Kulturamt. Da seine Frau Doris Freer in Duisburg als Gleichstellungsbeauftragte tätig ist, ist Krefeld für ihn auch geografisch eine interessante Option. Er bewirbt sich erfolgreich und tritt am 1. September 1988 seine Stelle an. Die erste Tanzveranstaltung, die er organisiert, trägt den Titel „Mind the Gap“ (Beachte die Lücke). Dieser Titel wird Programm. Dazu Meyer: „Es sind Lücken und Nischen, die Jürgen Sauerland-Freer sucht und findet — er befolgt damit einen alten Leitspruch des Kultursekretariats Wuppertal: „Fördern, was es schwer hat.“

.Neben der Tanzszene, der er gemeinsam mit seiner Kollegin Dorothee Monderkamp ein überregionales Ansehen verschafft, setzt er sich auch für das Krefelder Instrument Bandoneon ein und ruft ein eigenes Festival dafür ins Leben. Meyer würdigt ihn als „Zuhörer und Möglichmacher, als beinahe unsichtbare Anschubkraft, durch die Bewegung erst entsteht.“ Der Oberbürgermeister beschließt seine ausführliche Würdigung mit einem Ausblick auf den Ruhestand, der ab Mai jetzt endgültig beginnen soll. Ein altes Motorboot, eine Kamera, eine Gitarre und jede Menge Bücher werden zukünftig die wichtigsten Requisiten sein. Sauerland-Freer bedankte sich für die „freundlich-übertriebenen“ Worte und die weitgehende Gestaltungsfreiheit, die er in dem „wunderbaren Gemischtwarenladen Kulturbüro“ gehabte hätte. Er formulierte noch einmal sein Credo, zu fördern, was es schwer hätte und betonte, immer gegen eine inhaltliche Verflachung gearbeitet zu haben. „Qualität und Tiefe schließen auch ein Amüsement nicht aus.“ Neben den Kollegen ging sein besonderer Dank an das Publikum, dessen Interesse erst seine Arbeit ermöglicht hätte. Er lobte den großen Ideenreichtum der freien Krefelder Kulturszene und legte sie seinem Nachfolger, den es derzeit noch nicht gibt, ans Herz: „Sie hat jede finanzielle und ideelle Unterstützung verdient.“

Nach zwei Stunden war der offizielle Teil beendet und der Abend mit einem Umtrunk in der „Kulisse“ aus.

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