Premiere Intelligent und sehr unterhaltsam

Krefeld · Molières Komödie „Tartuffe“ zeigt das Leben einer wohlhabenden Familie, die einem Betrüger vollends erliegt.

 Das Bühnenbild stamm von Kirsten Dephoff und greift mit den Kugeln immer wieder das Boule-Thema vom Anfang des Stücks auf.

Das Bühnenbild stamm von Kirsten Dephoff und greift mit den Kugeln immer wieder das Boule-Thema vom Anfang des Stücks auf.

Foto: Matthias Stutte

Im Haus des reichen Bürgers Orgon herrscht gepflegte Langeweile. Die Familie vertreibt sich die Zeit mit einem Boule-Spiel. Als Spiel im Spiel beginnt Molières Komödie „Tartuffe“, die am Wochenende in einer spritzigen Inszenierung im Theater Premiere feierte. Die Akteure bewegen sich in Zeitlupe auf der Bühne, die mit regelmäßig gemusterter Wand und Boden wie ein überdimensionales Spielfeld wirkt. Neben den kleinen goldenen Boule-Kugeln bevölkern viele größere, gleich gemusterte Kugeln den Boden.

In dieser Atmosphäre des Spiels hat einer die Fäden in der Hand, der lange Zeit unsichtbar bleibt: Tartuffe. Mit starken satirischen Zügen hat Molière vor über dreihundert Jahren die Geschichte des frommen Heuchlers, der sich in das Vertrauen eines reichen Mannes einschleicht und diesen beherrscht, geschrieben. Regisseurin Dedi Baron hat das Stück aus dem 17. Jahrhundert in unsere Zeit geholt und gezeigt, wie diese Mechanismen menschlicher Schwächen auch heute noch funktionieren.

In dem abstrakten Bühnenbild (Kirsten Dephoff), in dem sich neben den Kugeln nur eine nach vorne verschiebbare Wand mit einer Drehtür befindet, agieren hinter den von Moliere speziell charakterisierten Figurentypen echte Menschen. Ihr geordnetes, langweiliges Leben im Luxus ist aus der Bahn geworfen, zwischen den großen Kugeln suchen sie vergeblich Halt. Diese ständige Bewegung passt perfekt zum Tempo der Komödie sowie dem funkelnden Wortwitz der Sprache.

Als elegante Dame gekleidet, beherrscht in den ersten Szenen die Zofe Dorine (Caroline Schupa) die Szene. Mit ihrem seltsamen Akzent, der entfernt französischen Anklang hat, hebt sie sich sprachlich von ihren Arbeitgebern ab und wird auf sehr witzige Weise zur führenden Kraft im Komplott gegen Tartuffe.

Von Betrug über Lüge bis hin zur Scheinheiligkeit ist alles dabei

Orgon (Bruno Winzen) will in seiner Verblendung, hinter der sich eine innere Leere verbirgt, seine Tochter Mariane (Vera Maria Schmidt) mit Tartuffe verheiraten. Dass Mariane bereits mit Valère (Philipp Sommer) liiert ist, interessiert ihn dabei wenig. Genauso blind ist er gegenüber Tartuffe, der seiner Frau Elmire (Esther Keil) auf unverschämte Weise nachstellt. Erst als diese sich vor den Augen ihres Mannes fast von Tartuffe verführen lässt, begreift er langsam, was in seinem Haus vor sich geht.

Bruno Winzen zeigt hinter dem Starrsinn Orgons die Tragik eines Mannes, der alles hat und trotzdem in seiner Familie zutiefst einsam ist. Dass er auf Tartuffe hereinfällt, hat daher nicht nur komische Züge.

Es ist ein wunderbarer dramaturgischer Kniff von Molière, dass das halbe Stück lang alle über Tartuffe reden, bevor dieser endlich in Erscheinung tritt. Wenn Henning Kallweit schlicht in schwarz gekleidet und mit seinem schmalen Körper sehr asketisch wirkend endlich kommt, ist man als Zuschauer angenehm überrascht. Da kommt weder der von Orgon beschworene Gott, noch der von den Anderen verteufelte Betrüger, sondern ein Mensch. Sympathisch und harmlos wirkt er zunächst, erst allmählich entpuppt sich der Wolf im Schafspelz.

Es ist eine feine Charakterstudie, welche die Gefahr solcher Persönlichkeiten umso deutlicher macht. Denn das Thema der Verführbarkeit lässt sich vom Privaten mühelos ins Politische übertragen.

Bei Molière verliert Orgon durch Tartuffe seinen gesamten persönlichen Besitz, erst eine höhere göttlich-königliche Instanz stellt am Schluss die Ordnung wieder her. Auch in der jetzigen Aufführung wird der Betrüger am Ende verhaftet, aber der Jubel, in den die Familie Orgons ausbricht, hat einen schalen Beigeschmack. Orgons Schwager Cléantes (Adrian Linke) deutet es in einer kurzen Parodie an.

Die Machthaber, die in der Welt für Ordnung sorgen wollen und dafür von vielen bewundert werden, sind nach wie vor mit besonderer Vorsicht zu genießen. Ob man sich im
17. oder 21. Jahrhundert befindet, macht da leider keinen Unterschied. Diese Botschaft vermittelt die Inszenierung auf intelligente Weise und sorgt insgesamt für einen, bis auf wenige überflüssige Mätzchen, sehr unterhaltsamen Abend.

Der für ein gelungenes Spiel erforderliche Teamgeist zeigte sich auch bei allen Akteuren. So spielfreudig und präzise agierend hat man das Schauspiel-
ensemble schon länger nicht mehr erlebt.

Entsprechend begeistert reagierte auch das Publikum.

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