Michael Grosse, ein Intendant zum Anfassen: „Zuhören ist das A und O“

Der frisch gewählte Michael Grosse möchte gern ein „Intendant zum Anfassen“ sein.

Krefeld. 20 Stunden nach seinem ersten Auftritt als künftiger Intendant des Theaters Krefeld-Mönchengladbach sitzt Michael Grosse bereits wieder in seinem Büro in Schleswig. Am dortigen Landestheater wartet noch viel Arbeit auf ihn, bis er in 20 Monaten die neue Stelle am Niederrhein antritt. Im Interview spricht er über erste Eindrücke, seine Pläne und das Dauerthema Finanzen.

Herr Grosse, vor 13 Jahren haben Sie sich schon einmal auf diesen Posten beworben, nun hat es mit Verspätung geklappt. Was reizt Sie so an dieser Aufgabe?

Michael Grosse: Ich kann endlich wieder das große Repertoire bedienen, spartenübergreifend arbeiten. Hier muss ich aufgrund von drei Produktionsstätten und 14 Bühnen viele Kompromisse eingehen. Die Arbeit macht Spaß, aber auf dem neuen Posten kann ich Kräfte, Möglichkeiten und Wünsche besser bündeln.

Was ist Ihr Bild des Theaterpublikums am Niederrhein?

Grosse: Ich bin sehr neugierig auf das Publikum und werde die Zeit nutzen, um viele Aufführungen zu besuchen. Drei habe ich schon gesehen. Mir fällt auf, dass die Leute unheimlich nah dran sind am Geschehen, emotional und hungrig. Das passt gut, denn ich will sinnliches Theater machen.

Definieren Sie "sinnlich".

Grosse: Ein Theaterabend muss prall sein, leidenschaftlich in der Darstellung. Die Ästhetik darf ruhig modern sein, aber Theater muss vor allem Geschichten erzählen. Ich bin ein Verfechter des Handwerks, arbeite gern mit Leuten, die ihres beherrschen und so das Publikum erreichen.

Auch als Intendant gehen Sie gern selbst auf die Bühne. Ihre Spezialität sind Solo-Abende. Werden wir die auch in Krefeld erleben?

Grosse: Es gibt klare Prioritäten. Ich bin zu 85 bis 90 Prozent Intendant und dafür zuständig, Theater zu ermöglichen und zu entwickeln. Ich bereite anderen das Feld. Punktuell will ich aber auch inszenieren und spielen: Heine, Thomas Mann, Balladen - das ist übrigens auch bei Schulen sehr gefragt. Ich sehe es als Form von Öffenlichkeitsarbeit, ein "Intendant zum Anfassen" zu sein - auch wenn man sich dabei der Gefahr des Absturzes aussetzt.

Mit den Balladen befinden Sie sich auf den Spuren Ihres berühmten Vaters Herwart Grosse. Inwiefern hat er sie beeinflusst?

Grosse: Die Liebe zur Literatur habe ich von meinem Vater geerbt, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, ein Theater zu leiten. Da meine Mutter auch Schauspielerin war, komme ich aus einem lupenreinen Theater-Haushalt. Das hat mich geprägt.

Böse Zungen sagen, wer erfolgreich Theater machen will, darf es mit der Innovation nicht übertreiben. Wie lautet Ihr Rezept?

Grosse: Ich stelle mich der Gratwanderung zwischen Konvention und Innovation. Dieser Spagat, diese Balance ist die Kunst der Theaterleitung. Ein Musical, einen Schwank gekonnt auf die Bühne zu bringen, ist oft schwieriger, als die große Oper zu inszenieren. Was ich auf jeden Fall beibehalten will, ist die Arbeit mit zeitgenössischen Komponisten und Autoren - allerdings ohne uraufführungsgeil zu sein.

Vom Publikum zu den Mitarbeitern: Was für ein Chef sind Sie?

Grosse: Zuhören und Kommunikation sind für mich das A und O. Was helfen mir die tollsten Konzepte, wenn die Mannschaft sie nicht mitträgt? Dennoch muss ich im Einzelfall natürlich auch klar sagen, wo es langgeht.

Große Umbrüche beim Personal haben Sie bereits ausgeschlossen.

Grosse: Ich halte viel von Beobachtung. Es wäre doch hochgradig arrogant, sich über alles hinweg zu setzen. Das ruiniert ja auch die Stimmung im Haus. Ich will Gespräche führen, Leute kennenlernen, erkennen, wo die Chemie stimmt und wo nicht. Manchmal muss man Mitarbeiter auch nur anders anstoßen und gibt ihnen so ganz neue Impulse.

Noch ein Wort zu den Finanzen. In Altenburg/Gera sind Sie seinerzeit vor Etat-Kürzungen geflohen. Wie empfindlich sind sie heute?

Grosse: Wenn es darum geht, dem Theater dauerhaft Mittel zu entziehen, ist es meine Aufgabe, die Folgen darzulegen. Substanzverlust bedeutet weniger Attraktivität bedeutet weniger Einnahmen. So gerät ein Theater schnell in eine Abwärtsspirale. Und was einmal verloren ist, kommt in der Regel nicht wieder. Ich hoffe, dass ich gegen Kürzungen gute Argumente habe - und eine Lobby.

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