Gastspiel Psychologe Leon Windscheid: „Jede Menge Ötzi im Kopf“

Krefeld · Interview Windscheid präsentiert am Sonntag sein Programm „Altes Hirn, Neue Welt“ in der Kufa.

 Einen Denkanstoß zu unserer Lebensweise gibt Leon Windscheid in seinem Programm.

Einen Denkanstoß zu unserer Lebensweise gibt Leon Windscheid in seinem Programm.

Foto: Daniel Witte/Daniel Witte - Fotografie Watten

Schnelligkeit, Digitalität und Effizienz: Die heutige Welt lässt uns Menschen keine Ruhe. Veränderungen sind zum Alltag geworden. Doch macht unser Hirn das mit? Oder sind wir eigentlich noch der Ötzi von vor 300 000 Jahren? Leon Windscheid gibt in seinem Live-Programm „Altes Hirn, Neue Welt“ einen Denkanstoß zu unserer Lebensweise. 2015 gewann er die Million bei Günther Jauch, doch seiner Leidenschaft, der Psychologie, ist er bis heute treu geblieben.

Am Sonntag, 14. April (20 Uhr), ist er zu Gast in der Kulturfabrik an der Dießemer Straße 13. Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf ab 24,10 Euro.

Was fasziniert Sie so an der Psyche?

Leon Windscheid: Was heute für uns ein Jahr ist, das waren früher zehn Jahre. Ich komme heute in den Genuss, von „damals“ zu erzählen, weil sich alles so schnell verändert, dass ich nach wenigen Jahren schon von einer Welt erzählen kann, die ich überhaupt nicht mehr kenne – einer Welt ohne Smartphone. Dieses Karussell, das sich immer weiter und immer schneller dreht und das wir selber antreiben, macht uns schwindelig. Ich glaube, dass wir Menschen langsam begreifen müssen, dass wir etwas anders machen müssen, sonst machen wir es anderen, neuen Formen von Intelligenz sehr einfach, uns zu überholen. Mittlerweile können Algorithmen Richtern dabei helfen, Urteile zu fällen, sodass sie voraussagen können, wer rückfällig wird. Augenärzte bekommen Hilfe von Bilderkennungssoftware, Computer können alleine Artikel schreiben. Wir müssen verstehen, dass wir da umdenken müssen, sonst riskieren wir, dass wir uns selber ersetzen.

Warum, denken Sie, ist unser Gehirn den Maschinen gegenüber im Vorteil?

Windscheid: Mir ist wichtig, dass jeder anerkennt, dass unser Gehirn 300 000 Jahre alt ist. Wir laufen noch mit jeder Menge Ötzi im Kopf herum. Doch anstatt das loswerden zu wollen, statt immer der Zukunft hinterherzuhecheln, in der wir effizient und optimiert funktionieren wollen, sollten wir akzeptieren, dass unser Hirn alt ist und dass man auch Fehler macht. Alle Dinge, die wir als Dummheit abtun oder als nicht wichtig sehen, sollten wir als unsere größten Stärken anerkennen. Irrational und frei denken, Humor, Mitgefühl, Kreativität, das sind alles nicht die klassisch intelligenten Dimensionen – das sind aber die Teile unserer menschlichen Intelligenz, die Maschinen wahrscheinlich niemals nachmachen werden können. Diese Teile machen uns einzigartig und überlegen.

Wie können wir diese Sichtweise den neuen Generationen vermitteln?

Windscheid: In unserem Bildungssystem muss sich etwas verändern. Es gibt eine unglaublich schöne Sichtweise der Luo in Kenia, ein Urvolk. Sie beschreiben die Intelligenz, die aktuell bei uns am wichtigsten ist – „Riko“, also Effizienz, Rationalität, schnell und fehlerfrei denken. Aber das Volk hat noch drei weitere Worte für Intelligenz: „Luro“, „Dingo“ und „Paro“. Sie beschreiben Qualitäten wie sich in andere hineinversetzen zu können – oder sich um andere zu kümmern. Ich glaube, dass wir weg von diesem Riko müssen und hin zu den anderen Dimensionen von Intelligenz.

Inwiefern können die Menschen aus Ihrem Live-Programm etwas für das Leben lernen?

Windscheid: Die Mission vom Bühnenprogramm ist, die Leute an das Fach Psychologie heranzuführen und zu zeigen, dass es hier nicht nur um Zwangsjacken, Depressionen und Gummizellen geht. Man kann sie auch in ganz anderen Lebensbereichen anwenden. Wir kümmern uns um Ernährung, machen Diäten und machen Sport, um unseren Körper fit zu halten; aber für unser Gehirn machen wir viel zu wenig. Ich möchte also Menschen das Thema näherbringen, die sich dafür interessieren, warum sie ticken, wie sie ticken.

Inwiefern ist ihr Hirn noch das gleiche wie vor einigen Jahren?

Windscheid: Das Hirn verändert sich permanent. Im erwachsenen Gehirn wachsen jeden Tag Zehntausende von Hirnzellen. Bestimmte Verbindungen, die wir als Kind zur Verfügung hatten, brauchen wir als Erwachsene nicht mehr, weil wir gelernt haben. Wenn man die Augen offen hat, lernt man jeden Tag dazu. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Wort „Neugier“ nicht umsonst das Wort „Gier“ enthält. Persönlich bin ich total gierig nach Neuem. Mein Gehirn verändert sich die ganze Zeit.

Wie, denken Sie, sind Sie in zehn Jahren?

Windscheid: Ich weiß nicht, was in zehn Jahren um uns herum passieren wird. Es ist jedoch grundsätzlich so, dass bestimmte Mechanismen in unserem Kopf gleich sind, weil sie schon immer da waren. Ich denke, die Zukunft des Menschen liegt eher in der Vergangenheit. Es wäre viel interessanter, im Kopf einen Schritt zurück zu machen und sich wieder auf Gefühle und dergleichen zu besinnen. Solchen Dingen lassen wir heute keinen Platz mehr. Beispiele sind die Langeweile oder das Alleinsein und die alte Tugend der Geduld. Ich glaube und hoffe, dass das in meinem Hirn in zehn Jahren eine große Rolle spielt.

Warum sollte den Menschen auch Langeweile wichtig sein?

Windscheid: Früher gab es ein Gefühl der Langeweile, das ich heute nicht mehr kenne. Wenn ich auf den Bus warten musste oder wenn ich einen freien Sonntag ohne Freunde hatte, dann kam sofort Langeweile auf. Wenn heute nur eine Sekunde der Langeweile aufzieht, dann zücke ich sofort mein Smartphone. Doch wie Schmerzen uns zeigen, dass mit unserem Körper etwas nicht stimmt, zeigt uns die Langeweile, dass mit unserem Hirn etwas nicht stimmt. Langeweile hat die Funktion, uns wie ein Kompass zu führen. Wenn uns etwas nicht erfüllt oder nicht glücklich macht, dann zeigt uns unser System das über Langeweile und man muss merken, ob etwas nicht stimmt.

Gewinnspiel Wir verlosen 2 x 2 Karten für den Abend. Wer gewinnen möchte, muss bis Donnerstag, 11. April, 23.59 Uhr, eine E-Mail an [email protected] schicken. Die Gewinner werden per Los bestimmt.

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