Künstlerin Mamma Andersson im Interview: „Wir Menschen haben immer Hundstage“

Die schwedische Malerin Mamma Andersson stellt zurzeit in Haus Esters aus — sie spricht über ihre Kunst und ihre Arbeitsweise.

Krefeld. Die schwedische Malerin Mamma Andersson stellt zurzeit in Haus Esters aus — sie spricht über ihre Kunst und ihre Arbeitsweise.

Frau Andersson, Sie beginnen Ihre Ausstellung mit dem Bild „Kindheit“. Ein paar Bauklötze liegen auf dem Boden, als habe jemand mit der Architektur gespielt. Was hat das mit Ihnen zu tun?

Mamma Andersson: Meine Kinder sind 21 und 23 Jahre alt, man legt seine Träume in seine Kinder.

Sie bringen Persönliches ins Allgemeine. Was geht in Ihnen vor?

Andersson: Ich kann mich mit allem, was mich berührt, mit Gesang, mit Theater, mit Büchern identifizieren. Ich bin ganz offen. Ich versuche, meine Nachtträume in den Tag einzubringen.

Das gilt offensichtlich auch für Ihr Bild „Hardship“ (Harte Umstände). Das ruinöse Schiff scheint ausgesetzt zu sein. Ihre Quellen?

Andersson: Es hat mehr damit zu tun, was wir mit unserer Welt machen. Wir blicken in einen schwarzen See, ein schwarzes Meer, das voll von Tragödien ist.

Dazu passt „Dog Days“ (Hundstage). Er zeigt Figuren, die etwas suchen. Worum geht es?

Andersson: Der Titel bezieht sich auf die Sommermonate, wenn alles verdorrt und verfault ist. Aber wir haben immer Hundstage. Wir haben die Natur zerstört, wir haben das Erbe der Menschen zerstört. Alle Fische sind aus dem Meer verschwunden. Der Himmel ist schmutzig. Das Bild handelt von dieser Katastrophe. Mein Ausgangspunkt war ein Foto von Kriminalbeamten, die in einem Garten nach Indizien suchen. Es könnten auch Menschen sein, die nach einer Ölpest oder einer Nuklearkatastrophe etwas suchen.

Sie lieben Schwarz. Warum?

Andersson: Ich hatte einen Lehrer in einer meiner ersten Kunstschulen. Der sagte: Ihr könnt mit allen Farben malen, aber nicht mit Schwarz. Und ich dachte, Schwarz wird meine Farbe sein.

Es gibt Bootsmotive, die an Peter Doig erinnern, den großen Maler aus Trinidad. Sie wirken wie ein Doig Skandinaviens, Sie lieben die tragische Note. Haben Sie sich mit seiner Kunst auseinandergesetzt?

Andersson: Peter Doig ist fast so alt wie ich. Er wuchs in Kanada, Trinidad und England auf, aber wir hatten dieselben Referenzen. Ich habe bis zum letzten Jahr nie ein Boot gemalt, weil das sein Thema war. Aber jetzt, da ich mich von ihm gelöst habe, ist es mir erlaubt, meine eigenen Boote zu malen.

Sich-Lösen kann nicht so schwer gewesen sein. Sie haben doch Ihren eigenen Kulturkreis.

Andersson: Ja, die letzten 100 Jahre waren die beste Periode in der skandinavischen Kultur. August Strindberg und Henrik Ibsen kamen aus Norwegen, Carl Fredrik Hill und Ernst Josephson aus Schweden. Ich komme aus einem Land, wo die Geschichten-Erzähler eine Tradition haben. Ich denke an Ingmar Bergman und Lars Noren, den wichtigsten Autor der Gegenwartsdramatik.

Die Geschichten in Ihren Bildern haben oft keinen Schluss. „Ramble on“ (Umherstreifen) zeigt Leute ohne festes Ziel auf Baumstämmen laufen. Sie scheinen zwischen Himmel und Erde zu balancieren.

Andersson: Man geht am Sonntag mit der Familie spazieren und hat keinen Plan. Am Anfang hatte ich zehn Menschen gemalt. Ich tötete einen nach dem anderen. Wie Agatha Christie. Durch das Weglassen hat sich alles verdichtet.

Ein Wort zu „Kiruna“. Die Stadt scheint seltsam aufgelöst zu sein.

Andersson: Es ist die nördlichste nordische Stadt, eine Eisenhüttenstadt. Ich bin in der Nähe, in Lulea, geboren. Kiruna ist höchstens 160 Jahre alt. Im nächsten Jahr werden sie die gesamte Stadt zerstören und umsiedeln, weil so viel Eisen unter der Stadt liegt und sie das Eisen aus der Erde holen wollen. Das Foto für dieses Bild ist von 1920.

Sie haben sehr klare Bildideen. Man behält sie in Erinnerung. Das gilt auch für „Tick Tock“. Die Habseligkeiten einer Person sind zu sehen, aber die Person ist nicht anwesend. Was ist da los?

Andersson: Ich fand ein Reportage-Foto aus den späten 50ern oder frühen 60ern über eine sehr arme Gegend in Stockholm, wo sie kein Wasser und keine Toilette hatten. Da saß ein Mann auf dem Bett, vor sich einen Wecker, als ob seine Zeit abgelaufen war. Die Blume ist stellvertretend für ihn, und den Wecker habe ich weggenommen. Geblieben ist der Titel.

Mamma Andersson: „Dog Days“. Die Ausstellung läuft noch bis zum 5. Februar in Museum Haus Esters, Wilhelmshofallee 91-97. Geöffnet ist die Schau von Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr. Die nächste Führung mit Sabine Sander-Fell gibt es am Sonntag, 15. Januar, 11.30 Uhr.

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