Oper „Boris Godunow“ glänzt durch Gesang

Krefeld · Das Theater zeigt die Urfassung von Mussorgskijs Oper. Die Produktion wirkt zeitlos modern.

 Das Theater zeigt das musikalische Volksdrama „Boris Godunow“ von Modest Mussorgskij.

Das Theater zeigt das musikalische Volksdrama „Boris Godunow“ von Modest Mussorgskij.

Foto: © Matthias Stutte

Egal ob König oder Präsident. Die Erwartungen an ein neues Staatsoberhaupt sind immer groß, teilweise übersteigert. Wenn der vermeintliche Heilsbringer dann keine Veränderungen zum Besseren bewirkt, ist die Enttäuschung entsprechend groß. Dieses zeitlose Thema behandelt auch der russische Komponist Modest Mussorgskij in seiner Oper „Boris Godunow“.

1868 schrieb er eine erste Fassung seines Werks, das von einem Drama von Alexander Puschkin inspiriert ist. Weitere Fassungen folgten, doch diese Urfassung hat jetzt im Theater Premiere gefeiert. In ihrer Reduktion auf wenige Szenen und in ihrer Direktheit wirkt diese Fassung über das Thema hinaus zeitlos modern.

Der Fokus liegt auf dem
Menschen Boris Godunow

Wie der Titel bereits andeutet, liegt der Fokus auf dem Menschen Boris Godunow, der als Zar im frühen 17. Jahrhundert gescheitert ist. Aus dieser weit entfernten Historie in eine nicht genau definierte Gegenwart hat Regisseurin Agnessa Nefjodow das Stück geholt. Der Kontrast von Licht und Schatten, eine geheimnisvolle Aura und ein sehr russischer Charakter sind Leitlinien ihrer Regie. Sie setzt auf klare, eindringliche Bilder und arbeitet die Gegensätze stark heraus. Auf der einen Seite das Volk, das von dem auf siebzig Personen aufgestockten Chor des Theaters stimmlich und darstellerisch sehr präsent verkörpert wird.

Auf der anderen Seite die verschiedenen Figuren, die ihre ganz eigenen Interessen verfolgen: neben Boris sein Gegner Fürst Schujskij (Kairschan Scholdybajew), der Mönch und Chronikschreiber Pimen (Hayk Deinyan) und dessen Schüler Grigorij (Igor Stroin). Letzterer nimmt die Identität des ermordeten Zarewitsch Dimitri an und zettelt einen Aufstand an. Der Mord wird Boris angelastet und treibt ihn letztendlich in den Wahnsinn.

Das Aufeinanderprallen von Intrigen und Machtinteressen, die wechselseitige Beziehung zwischen Herrscher und Volk und das tragische Scheitern des Menschen Boris wird nicht in einer stringenten Handlung, sondern in einer Abfolge von sehr konträren Szenen erzählt. Die aus beweglichen, dunklen Mauerelementen bestehende Bühne (Eva Musil), schafft eine düstere Grundstimmung. Licht gibt es hier nur in Form von beweglichen Lampen, die vor allem der Chor immer mit sich schiebt und trägt. Jeder hat sein individuelles Licht, Zeichen des Lebens und der Hoffnung.

Auch Boris versucht gegen Ende sich in den Schutz dieser Lichter zu flüchten, doch am Ende stirbt er allein und im Dunkeln. Seine Schuldgefühle und seine glücklose Hand als Herrscher lassen ihn Scheitern. Mit ihm stirbt auch sein Sohn Fjodor (Susanne Seefing). Am Ende füllt das Volk die ganze Bühne, stumm und mit den Lichtern in der Hand. Nach so viel Düsterem zuvor ist das ein schönes, positives Schlussbild.

Es sind vor allem die Chor­szenen, die diesen Abend tragen (Einstudierung: Michael Preiser). Den intimeren Szenen mit einzelnen Darstellern fehlt manchmal eine innere Spannung. Vor allem im ersten Teil ist das spürbar. Auch Hauptdarsteller Mischa Schelomianski bleibt trotz seiner imposanten Erscheinung darstellerisch etwas blass, beeindruckt aber mit seinem differenzierten Bass.

Ihm zur Seite steht ein starkes Sängerensemble, dass auch mit den klanglichen Facetten der russischen Sprache eindrucksvoll umzugehen weiß. Passend zum Thema dominieren die dunklen Männerstimmen. Weibliche Akzente setzen Sophie Witte als Boris‘ Tochter Xenia, Janet Bartolova als Schankwirtin und Brigitta Henze als Amme. Susanne Seefing ist als Zarewitsch präsent.

Das Ereignis des Abends ist die sehr angenehm hörbare Musik. Sie ist nicht nur klar strukturiert, sondern spiegelt auch die seelischen Zustände der Figuren sehr differenziert wider. Glockenklänge und andere folkloristische Elemente sorgen für viel russisches Kolorit. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter Generalmusikdirektor Mihkel Kütson bringen die Facetten dieser Musik zum Leuchten. Allein der Musik wegen sollte man den Abend nicht versäumen.

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