Intensive Blicke auf das junge Amerika

In einer faszinierenden Ausstellung sprengt US-Fotograf Ted Partin die Grenzen von Dokumentation und Inszenierung.

Krefeld. Es sind die Blicke, die uns treffen, sich im Kopf festkrallen und rätselhafte Spuren hinterlassen. Was bewegt die Menschen auf den Fotos von Ted Partin? Sind sie wirklich so einsam, neugierig, verletzlich oder selbstbewusst, wie sie aussehen? Oder spielen sie uns etwas vor, jonglieren mit unseren Erwartungen und denen des Fotografen, in dessen Linse sie starren? "Ein Foto ist immer eine Lüge", sagt Ted Partin. "Es kann uns trotzdem helfen, etwas über uns und die Welt zu lernen."

Ted Partin, US-Künstler

Die Bilder des US-Amerikaners, Jahrgang 1977, die ab Samstag in Haus Esters zu sehen sind, wirken oft wie Schnappschüsse, doch sie sind mit großer Präzision inszeniert. Partin bringt Freunde oder Fremde an zufällig entdeckte Orte und fotografiert sie dort.

Da er mit einer altmodischen Plattenkamera arbeitet, die er - wie vor 100 Jahren - mit einem Tuch abschirmt, dauert die Vorbereitung jeder Aufnahme Stunden. "In dieser Zeit entsteht ein Bündnis zwischen Ort, Modell und Fotograf", sagt Sylvia Martin, stellvertretende Direktorin derKrefelder Kunstmuseen. "Intensität und Nähe bauen sich auf." Partin bestätigt das: "Ich kann nur Menschen fotografieren, die ich mag."

Die Mischung, die dabei entsteht, ist einzigartig. Die Fotos wirken dokumentarisch und sind doch von einer filmischen Dichte, die kein Zufall sein kann. Partin arbeitet mit kunstvollen Spiegelungen, komponiert fast unmerklich eine mystische, urbane oder subkulturelle Kulisse, die David Lynch liebend gern in seinem nächsten Film übernehmen würde. Wer lang genug wartet, dem beginnen die Menschen Geschichten zu erzählen - und wie bei Lynch ist man nicht sicher, ob man sie wirklich hören möchte.

Einige der Fotos sind schockierend, etwa das einer Frau, die ein Brandmal auf der Brust trägt, oder das eines mit 66 Wundklammern geflickten Hinterkopfes. Er gehört dem Bruder von Partins Freundin, dem ein Hirntumor entfernt wurde.

Verwundungen sind ein großes Thema des Fotografen, auch die seelischen oder jene, die man sich als Tattoos oder Piercings selbst zufügt. Inwieweit man sie für bare Münze nimmt, muss man letztlich selbst entscheiden: Partin sucht nicht nach Wahrheit, er lässt bei den Porträtierten eine Haltung entstehen, die Sylvia Martin treffend "natürliche Pose" nennt.

Dem gleichen Prinzip folgen die wenigen Farbbilder. Es sind Unikate, da Partin in einem speziellen Verfahren direkt das Fotopapier belichtet - es gibt kein Negativ. Die Bilder sind entsprechend klein, sie müssen in die Kamera passen. Dem Trend zum Großformat mag Partin nicht nachgeben, er sucht die "innige Begegnung" mit der Fotografie, nah an den Bildern: "Ich möchte die Moleküle fühlen."

Je näher man den Porträtierten kommt, umso intimer spürt man ihre Blicke. "Eyes look through you" heißt die Präsentation, seine erste in einem Museum: Augen schauen durch dich hindurch. Was sie sehen, bleibt das aufregende Rätsel dieser Ausstellung.

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