Hinter den Theater-Kulissen: „Der Menschenfeind“ - eine wacklige Angelegenheit

Für das technische Team war die Bühne zu „Der Menschenfeind“ echtes Neuland. Über Monate wurde daran gewerkelt. Die WZ erklärt die spektakuläre Bühne zur Molière-Komödie „Der Menschenfeind“ im Stadttheater.

Krefeld. Zuerst knarzte es ein wenig im Gebälk. Das kann schon mal vorkommen, wenn plötzlich über eine Tonne Gewicht auf einem einzigen Punkt lastet. Inzwischen wird der Bühnenboden des Theaters von unten abgestützt, wenn „Der Menschenfeind“ auf dem Spielplan steht. Feuerwehr, Bauordnungsamt, Tüv und ein Statiker haben ihr Okay gegeben.

Das Konstrukt, das Regisseur Christoph Roos und seinem Bühnenbildner Peter Scior für Molires Komödie vorschwebte, war für den Technischen Direktor Rainer Lauwigi und sein Team Neuland: Ein Parkettboden, der zu allen Seiten frei kippen kann, ist ein waghalsiges Unterfangen — nicht nur für die Schauspieler, die ihn später betreten müssen.

Eine Recherche an anderen Theatern half kaum weiter. Dort gab es zwar teils ähnliche Konstruktionen, jedoch stets mit Motor. „Der Regisseur wollte aber unbedingt eine Wippe haben, die über Schwerkraft funktioniert“, sagt Lauwigi. Gefragt war also ein Prototyp — was bei den engen Zeitplänen und Kostenrahmen am Theater immer eine heikle Sache ist. „Unsere Prototypen müssen beim ersten Mal abheben und fliegen“, sagt Lauwigi. „Man hat keinen zweiten Schuss.“

Nach ersten Besprechungen im Februar ging das technische Team ans Werk. Dabei zahlte es sich einmal mehr aus, dass am Theater Schreiner, Schlosser, Dekorateure und Maler Hand in Hand arbeiten. „Jeder bringt seine Fähigkeiten mit“, erklärt Lauwigi. „Zum Glück haben wir Leute, die spielfreudig sind und gerne etwas ausprobieren.“

Der Grundaufbau war schnell klar: eine leichte Aluminiumkonstruktion, die lediglich auf einer 50 mal 100 Zentimeter großen Fläche in der Mitte festgehalten wird, darauf 23 Sperrholzplatten als Standfläche. Große Teile der Konstruktion sind verschraubt und können später wiederverwendet werden, vor allem bei Bühnenbildern mit zwei Etagen.

Anfang Mai stand der Prototyp zum ersten Mal auf der Bühne — ungewöhnlich früh angesichts einer Premiere Mitte Juni. Doch erstens war noch nicht klar, ob das Konstrukt den Ernstfall übersteht. Und zweitens war es Lauwigi wichtig, dass die Darsteller sich frühzeitig an ihre seltsame Spielfläche gewöhnen. „Der Dampf muss raus sein, wenn die eigentliche Probenarbeit beginnt.“

Nach den ersten Tests war klar: Was der Bühne fehlte, war eine Dämpfung. Bei jedem unbedachten Schritt rauschte sie mit Karacho nach unten. Experimente mit Lkw-Stoßdämpfern schlugen fehl — dann hatte jemand die Idee, Gummibänder einzusetzen. Mit ihnen wird die Fläche seitlich festgehalten. Bis 1,20 Meter dehnen sie sich aus — und lassen maximal 40 Prozent Gefälle zu.

Der letzte Faktor zum Gelingen des Theater-Experiments war menschlich. Paul Steinbach, gewichtiges Mitglied des Ensembles, hat neben seiner Rolle als Philinte die Aufgabe, für Balance zu sorgen. „Er fungiert als Gegengewicht und tariert die Schräge aus.“ Doch auch seine Kollegen müssen immer genau wissen, wo sie stehen — bei bis zu sieben Leuten eine wacklige Angelegenheit. Und sollte doch mal jemand das Gleichgewicht verlieren, fällt er weich: Rund um die Bühne fangen Matratzen jeden Sturz auf.

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