Gronert: Das ganze Burg-Ensemble ist eine Fiktion

In einer ungewöhnlichen Doppelführung erläutern Museumsleiter und Design-Professor die Umbaugeschichte.

Krefeld. Für Professor Siegfried Gronert war diese Führung am Sonntag durch die Burg Linn eine Premiere. „Ich habe die Ausschreibung ‚Führer gesucht’ gesehen. Für mich war eine normale Führung nicht das Richtige und da habe ich mir etwas anderes ausgedacht: die Burg als Denkmal, das rekonstruiert wurde.“

Das Thema „Dichtung und Wahrheit zur Burg Linn“ lockte zwar nur neun Personen am ersten Feriensonntag, doch das steigerte eher den Charakter dieser Privatissime-Veranstaltung. Den zweiten Part der exklusiven Führung übernahm Dr. Christoph Reichmann, der Leiter des Museums Burg Linn.

Gronert: „Ich bin nicht vom Fach Linner Stadtgeschichte.“ Sein Spezialgebiet ist das Design seit dem 18. Jahrhundert. Von 1982 bis 1993 lehrte er an der FH Niederrhein, von 1993 bis 2011 war er Professor für Geschichte und Theorie des Designs an der Bauhaus-Universität Weimar.

Der berühmteste Bewohner Weimars lieferte ihm Inspiration zu seiner Führung durch die Burg Linn. Auf „Dichtung und Wahrheit“ wies Gronert schon am Stadtmodell hin, das ungefähr die Zeit um 1650 darstellt. „Vor allem die absurde Situation, dass ein Kurfürst wie ein Bürger auf dem Gartenmäuerchen sitzt“, bemerkte er.

Reichmann erläuterte die Linner Empfindsamkeiten, die mit diesem Denkmal verbunden sind. Man ist sich einig, dass eine Person mit einer stärkeren Verbindung zu Linn hier hingehört. Einhellig ist auch im Kreis der Zuhörer — zur Hälfte Linner Stadt- und Burgführer, die den Vormittag zur Weiterbildung nutzen — die Meinung, dass eine Figur von Albert Steeger entschieden besser passen würde.

Im Schatten der Linde in der Vorburg erklärte Gronert: „Das ganze Ensemble ist eine Fiktion! Eine museale Collage!“ Und gemeinsam erarbeitete die Runde, welche Gebäude zu welcher Zeit errichtet, in welcher Gesellschaft sie dann im Original standen — so sah es niemals in der Vergangenheit aus.

„Das angestammte Bild der Burg war immer eine Ruine, einer mehr oder weniger romantischen“, erläuterte Reichmann, „bis sie dann wieder aufgebaut wurde.“ Gronert sieht darin auch ein typisch deutsches Phänomen: „Man will das Alte wieder vervollständigen, doch die Patina des Alten wollen wir nicht mehr.“

Zu diesem Aspekt konnte Reichmann aus dem Nähkästchen plaudern und im Burginnenhof sehr anschaulich machen, wie einst übereifrige Bauhandwerker die Fugen des historischen Mauerwerks am liebsten komplett erneuert hätten. So kann man an den deutlich helleren Fugen unter dem Dachansatz sehen, wie hoch das Gerüst stand, von dem aus die unerwünschten Veränderungen von oben abwärts durchgeführt wurden. Sie sind der jüngste Ausschnitt der Umbau- und Restaurierungsgeschichten auf Burg Linn.

Der Rittersaal, den nie ein Ritter in dieser Form gesehen hat, ist ein Sammelsurium der 1950er Jahre — von den Hölzern der Decke, die aus Japan stammen, bis hin zum „Schnäppchen“ des großen Kronleuchters in der Mitte des Saals, den Steeger noch für 50 alte Reichsmark von Schloss Haag in Geldern gekauft hat.

Erst im Marianne Rhodius-Zimmer findet Gronert das authentische historische Ensemble, einen Raum mit Patina. „Aber es muss nicht gleich der Putz von der Decke fallen!“ wirft Reichmann ein.

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