Theater Krefeld Geschichte einer Arbeitsmigrantin: Ausbeutung im gelobten Land

Das Theater Krefeld zeigt in der Fabrik Heeder „Phantom (Ein Spiel)“ von Sarah Nemitz und Lutz Hübner.

Theater Krefeld: Geschichte einer Arbeitsmigrantin: Ausbeutung im gelobten Land
Foto: Matthias Stutte

Krefeld. Die Flüchtlingskrise hat dieses Land verändert. Willkommenskultur und Angst vor „Überfremdung“ stehen sich unversöhnlich gegenüber, eine „Obergrenze“ für die Einwanderung ist politisches Dauerstreitthema. Und Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling. Der Kriegsflüchtling wird akzeptiert, der sogenannte „Wirtschaftsflüchtling“ jedoch nicht. Aber wer sind denn diese Wirtschaftsflüchtlinge? Das Stück „Phantom (Ein Spiel)“ vom Erfolgsautorengespann Sarah Nemitz und Lutz Hübner gibt einer Arbeitsmigrantin ein Gesicht und versucht, ihrer Geschichte nachzuspüren. Das Theater Krefeld zeigt es jetzt in der Fabrik Heeder.

Auf der Suche nach dem „Phantom“ bleibt das, was Hübner und Nemitz geschrieben haben, immer „ein Spiel“, wie es der Titel sagt. Möglichkeiten werden durchdekliniert, keine Antworten gegeben. Regisseur Sascha Mey und Ausstatter Udo Hesse setzen diese Regieanweisung konsequent um.

Mey verteilt die Rolle der Osteuropäerin Blanca auf alle drei Darstellerinnen, alle Akteure, auch die beiden Herren, springen per fliegendem Kostümwechsel von Rolle zu Rolle. Narrative Elemente brechen das Spiel auf. Die karge Bühne mit vielen Bodenklappen markiert keinen konkreten Ort, wechselnde Schauplätze werden durch Requisiten angedeutet. Eine beidseitig aufziehbare Brecht-Gardine signalisiert zusätzlich für die Theaterexperten, dass hier keine Illusionen ins Spiel kommen sollen.

Was aber zunächst eine Rolle spielt, sind viele real kursierende Vorurteile. Das Personal eines Fastfood-Restaurants entdeckt nach Ladenschluss ein zurückgelassenes Baby. Natürlich bringen die Angestellten es gleich mit der „südeuropäisch aussehenden jungen Frau“ in Verbindung, die sie gesehen haben wollen. Und diese und ihre Geschichte entstehen dann aus den Vorstellungen heraus, die sich die Angestellten machen. So entsteht Blanca.

Blanca könnte also die sein, die von ihrer Familie aus dem verarmten Bulgarien ins reiche Deutschland geschickt wird, auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Der kriminelle Vetter betrügt sie gleich zu Beginn der Reise, indem er ihr Geld für Papiere abknöpft, die sie nie erhält. In Deutschland muss Blanca anderen Migranten überteuerte Mieten für ärmliche Schlafplätze zahlen. Der deutsche Landwirt verspricht nur den gesetzlichen Mindestlohn fürs Spargelstechen und behält dann das Meiste für sich, etwa für Verpflegung.

Es ist also mühsam für Blanca im gelobten Land, das die Herren des Ensembles zwischendurch als Symbolfigur vertreten. Da geben sie den bemützten deutschen Michel im Glitzergoldkostüm, aber mit Totenmaske. Das ist vielleicht ein zu deutliches Bild. Doch Blanca lässt sich nicht unterkriegen, lässt sich auch nicht verleiten, zum Beispiel zur Prostitution.

Und dann überrascht das Stück in der zweiten Hälfte mit einer Wendung. Als Mutter des ausgesetzten Babys wird nämlich die deutsche Hartz-IV-Empfängerin Annika präsentiert, bei der Blanca zur Untermiete wohnen darf. Als Gegenleistung putzt Blanca für die offenbar hochschwangere, aber auch sehr schlampige Annika die vermüllte Wohnung, geht für sie einkaufen und so weiter.

„Meine Kinder werden es besser haben“, stellt Blanca am Ende fest. Ein Mensch kämpft für sein Glück, so lernt das Publikum die Migrantin kennen. Kann man ihr das übel nehmen? Sind so die Menschen, für die es angeblich in diesem Land keinen Platz gibt, weil sie uns angeblich nur auf der Tasche liegen?

Hübner und Nemitz haben ein intelligentes kleines Stück geschrieben, das Vorurteile geschickt hinterfragt. Denise Matthey, Eva Spott, Helen Wendt, Paul Steinbach und Christopher Wintgens setzen die überwiegend angemessene Regie von Sascha Mey konzentriert und ohne überflüssige Schnörkel um. Herzlicher Applaus bei der Premiere.

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