Gemeinschaftstheater : „Joey Blueglass“ Chris Wilson

Das Gemeinschaftstheater zeigt in der Fabrik Heeder die Dramatisierung des Romans „Joey Blueglass“ von Chris Wilson.

Krefeld. Sogar an seine Geburt kann er sich erinnern, was für ein Schicksal. Ist es eins? Joey Blueglass, im 19. Jahrhundert in London und dort in der Gosse geboren, kann nichts vergessen, hat außerdem eine große Rechenbegabung. Schauspieler Daniel Minetti hat den gut 20 Jahre alten Roman „Joey Blueglass“ von Chris Wilson als Monolog dramatisiert und seinen jungen Kollegen Cornelius Gebert in der Rolle des hochbegabten Außenseiters inszeniert. Die Studioproduktion des Stadttheaters feierte jetzt in der Fabrik Heeder Premiere.

Gebert erzählt, charmiert, kokettiert. Das ist alles ganz putzig — und das ist das Problem dieser Inszenierung: Dem Freak Joey Blueglass bleibt sein eigenes Leben ein pittoresk ausgebreiteter Witz.

Fällt Gebert beim Erzählen in andere Rollen, so geschieht das oft zu impulsiv. Von seinem kindlichen Alter Ego angefangen, über die Mama, die Freundin Florence oder diverse Gaunerfiguren — alle werden mit verstellter Stimme und parodistischer Gestik zu Karikaturen.

Die Mutter kann dem überschlauen Kerlchen nichts bieten, da gerät Joey in die Fänge eines Kriminellen, der ihn in die Lehre nimmt. Die Dickens-Figuren Oliver Twist und Fagin lassen grüßen. Ansonsten könnten für Blueglass auch der kleine Oskar aus der „Blechtrommel“ von Grass oder Jean-Baptiste Grenouille aus „Das Parfum“ von Süskind Pate gestanden haben, doch in deren Liga kann Joey nicht mitspielen.

Sein Außenseitertum bleibt ihm zu fremd, er verharrt vor dem Spiegelbild in seiner eigenen Erzählung in unwissendem Staunen. Er begreift, dass seine Fähigkeiten ihm irgendwie nutzen, versteht aber nicht wirklich, wie sie ihm schaden, und entwickelt vor allem keinen Antrieb aus der Differenz, die zwischen ihm und den anderen besteht.

Die Tragik muss da von außen kommen, sie kommt in Gestalt der Diebin Florence. Die begehrt Joeys über die Maßen. Florence’ Naivität und die ihres Freundes kosten das Mädchen das Leben, als sie einem skrupellosen Wettbetrüger in die Quere kommen. Der Mord an Florence wird Blueglass angelastet, der zum Tode verurteilt wird — das soll dann die dramatische Pointe sein: Die ganze Erzählung ist eine Rückblende aus der ewigen Erinnerungsschleife, in der Joey post mortem gefangen bleibt.

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