Foltern will gelernt sein

Die Bühnenfassung eines gescheiterten Psycho-Experiments hat am Samstag Premiere. Schon bei den Proben geht es zur Sache.

Krefeld. Foltern verlangt Übung, auch auf der Bühne. Und da es für Waterboarding und ähnliche Abscheulichkeiten nun mal keine Volkshochschulkurse gibt, behilft sich Regisseur Christoph Roos mit einer Recherche im Internet. "Der Witz beim Waterboarding ist, dass kein Wasser in die Lunge läuft", erklärt er seinen Schauspielern auf der Probebühne der Fabrik Heeder. "Der Deliquent hängt auf einem Brett, sein Kopf liegt etwas tiefer als der Körper. Man glaubt zu ersticken - aber das passiert nicht wirklich."

Ralf Beckord wird das durchaus beruhigend finden. In "experiment. prisoner 819 did a bad thing" unterzieht ihn Sven Seeburg einem kurzen Waterboarding à la Guantanamo. Die Botschaft ist trotz Beckords sichtbarem Leiden klar: Alles nicht so schlimm, Jungs, wir können ruhig weitermachen wie bisher.

Die sieben Schauspieler in Hermann Schmidt-Rahmers beklemmendem Drama haben alle Doppelrollen: Sie sind im ersten Teil Gefangene, im zweiten die Wärter. Das entspricht dem Aufbau des berühmten Stanford-Prison-Experiments. Der US-Psychologe Philip Zimbardo teilte im Jahr 1971 Probanden in diese beiden Gruppen auf. Nach wenigen Tagen geriet die Situation völlig außer Kontrolle, der Menschenversuch wurde abgebrochen.

Filmfans dürfte die Konstellation bekannt vorkommen: Oliver Hirschbiegel hat daraus im Jahr 2001 den Kinohit "Das Experiment" gemacht, das Theaterstück feierte erst vor zwei Jahren in Dortmund Uraufführung. "Es ist viel näher dran an den tatsächlichen Ereignissen als der Film", sagt Roos, der aus Krefeld stammt und am Samstag seine Inszenierung am Theater präsentiert.

Bei den Proben der Wärter-Szenen in der Heeder tragen die Schauspieler Lederjacken, Springerstiefel und verspiegelte Sonnenbrillen. Mehrmals lässt Roos sie die Waterboarding-Szene wiederholen, in der Beckord und Seeburg als "H" und "X" zu beweisen versuchen, dass Gefangenenfolter ein probates Mittel ist, um Disziplin herzustellen.

Immer wieder unterbricht der Regisseur, um die psychologische Basis der Szene gemeinsam mit den Darstellern und Dramaturgin Vera Ring zu ergründen. "Euer Gespräch darf nicht in Plaudern ausarten", sagt er. "Ich brauche einen klaren Frontenverlauf." Wie im tatsächlichen Experiment entblößen die Teilnehmer verschiedene Gesichter: Hass und Sadismus ebenso wie Angst und Skrupel.

"Das Stück zeigt, wie aus Normalbürgern Leute werden, die Dinge tun, von denen wir alle glauben, dass wir sie niemals tun würden." Roos sucht keine simplen Sündenböcke, er will das Böse in der menschlichen Natur entlarven, den Fehler im System.

Entsprechend sensibel reagiert er, wenn die Schauspieler kurzfristig ins Klischee abgleiten. "Ich will hier nicht von sieben Menschen erzählen, die stumpfsinnig zu Folterknechten werden", erklärt er den Darstellern. "Das sind normale Leute, die Dinge tun, die sie nachts nicht schlafen lassen."

Durch geduldiges Nachhaken und mit einem feinen Gespür für die psychologische Spannung des Stücks feilt der Regisseur an der Szene - und scheut sich nicht davor eigene Fehler einzugestehen. "Lass die Pause mal länger stehen", hatte er Schauspieler Ronny Tomiska ermahnt. "Es schadet deinem eigenen Text, wenn du so früh in die Szene reingehst." Fünf Minuten später korrigiert er sich: "Du hast es genau so gemacht, wie ich wollte, aber es hat nicht funktioniert. Mein Fehler!"

Gerade das Ausprobieren ist wichtig, um die Worte zum Leben zu erwecken. Dennoch gibt es klare Rollenprofile für jede Figur, die Ring und Roos vor den Proben erarbeitet haben. Dazu sollen sich die Schauspieler Gedanken machen, wen sie eigentlich spielen, welcher Mensch hinter dem Wärter oder dem Häftling steckt.

Gerade durch seine Zweiteilung ist das Stück sehr komplex. Kaum etwas steht für sich, alles hat seinen Zweck. Was die Gefangenen erleben, spiegelt sich im zweiten Teil auf der anderen Seite der Zellentür - eine Begegnung der beiden Welten findet auf der Bühne nicht statt. "Das ist auch gut so", sagt Roos. "So laufen wir keine Gefahr, ein Gefängnis-Spektakel daraus zu machen."

Die Stärke von "experiment" liegt eher zwischen den Zeilen: im aktuellen Entsetzen über subtile Foltertechniken wie Schlafentzug oder stundenlanges Stehen. Beckord alias "H" weiß auch dabei nicht, was die Aufregung soll: "In meinem Beruf stehe ich acht Stunden am Tag." Regisseur Roos klärt auf: "Das ist ein Original-Zitat von Donald Rumsfeld." Stand so im Internet.

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