Festival Move: Rollenspiel zwischen Antike und Gegenwart

Mal minimalistisch, statuenhaft, spielerisch: Emmanuel Eggermont zeigte beim Festival Move großen tänzerischen Variantenreichtum.

Festival Move: Rollenspiel zwischen Antike und Gegenwart
Foto: Rosa Frank

Krefeld. Zunächst schreitet ein kleinwüchsiger Mann mit einem Miniatur-Kanu am Henkel die Ränder der quadratischen, mit einem weißen Belag versehenen Tanzfläche ab. Es ist Raimund Hoghe, der für Konzept, Choreographie und Ausstattung dieser Aufführung verantwortlich ist. Er hat zum Anlass der zehnjährigen Zusammenarbeit mit Emmanuel Eggermont diesem französischen Tänzer und Choreographen im vergangenen Jahr das Stück „Musiques et mots pour Emmanuel“ (Musik und Worte für Emmanuel) geschrieben.

Dieses Werk wurde jetzt im Rahmen von Move in der Fabrik Heeder aufgeführt. Beim Abschreiten eines optischen Rahmens um die Tanzfläche kommt schließlich Luca Giacomo Schulte hinzu, der Hoghe unter den Klängen einer leisen Frauenstimme und meditativer Musik folgt.

Während der vielen Wiederholungen der Frauenstimme „Happy days are here again“ beginnt Eggermont, die Hauptrolle auf der weißen Tanzfläche zu übernehmen. In langsamen Bewegungen wechselt er zwischen Haltungen, die oftmals an antike Statuen erinnern. Dafür setzt er nur minimalistische Bewegungen ein.

Eine andere Frauenstimme mit Klavierbegleitung erklingt von einer historisch erscheinenden Aufnahme, und Eggermont lässt aus seinem „Statuenspiel“ einen fließenderen Tanz werden. Eine barocke Musik von einem E-Piano setzt er in Bewegungen um, die seinen minimalistischen Stil mit einigen Elementen des höfischen Tanzes jener Zeit harmonisch verbinden.

Dann philosophiert eine kräftige männliche Stimme aus dem Lautsprecher über die Schauspielkunst, „ein Spiel mit heiligem Ernst“. Dabei kehrt Eggermont wieder zurück zu seinem Statuenspiel. Die nächste Episode schildert Stimmungen vom Broadway. Dann geht es musikalisch mit ruhiger Musik samt führendem Oboenpart wieder zurück in die klassische Musikwelt, durch die sich Eggermont wieder mit seinem minimalistischen höfischen Repertoire bewegt. In den Szenen um das Chanson „Ne me quitte pas“ (Verlasse mich nicht) kann man entdecken, dass er hier den Rhythmus des Gesprächs in Tanz umsetzt. Und die Angst vor dem Verlassen spiegelt sich in zahlreichen Bewegungen wider, die ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen scheinen.

Hoch aktuelle Gesellschaftskritik bringt Hoghe mit seiner Sequenz um jugendliche Afrikaner, die der Chancenlosigkeit in ihrer Heimat zu entgehen versuchen und dabei umkommen. Bei der dazu gespielten leisen, klagenden Musik erhält das Publikum die Gelegenheit, den fiktiven Brief, den Hoghe vorgetragen hat, wirken zu lassen. Das Stück wechselt auf die Sonnenseite von Kinderalltag in italienischer Sprache, von Bambini und dem allerliebsten Pinocchio ist zu hören, und der Tänzer — nun in kurzer Hose — scheint in die Rolle eines Jungen geschlüpft zu sein.

Nach dieser Episode erfolgt wieder eine Zeitreise in die Vergangenheit, die ein Ausschnitt aus einem Violinkonzert von Mozart lebendig werden lässt. Eggermont bietet eine weitere Variation seines Statuentanzes, den man als Zuschauer wieder als eine meditative Übung verstehen kann. Was später die polnischen Sprachfetzen ausdrücken sollten, dürfte sich wohl kaum jemandem im Raum erschlossen haben. Aber die darin häufig wiederkehrenden Worte für „danke“ und „gut“ kann man auf diesen höchst ästhetischen wie meditativen Tanzabend mühelos übertragen. Der lange Applaus aus den nicht ausverkauften Rängen drückt dies nonverbal aus.

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